Sind Nahrungsmittelspekulationen doch für Hunger in der Welt verantwortlich?

Foodwatch veröffentlicht Forschungsergebnisse von Deutscher Bank und Allianz

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"Solche Spekulationen können für Landwirte und Verbraucher gravierende Folgen haben und sind im Prinzip nicht akzeptabel." Diese Einschätzung der Nahrungsmittelspekulation wurde von DB-Research, der Forschungsabteilung der Deutschen Bank verfasst. Bekannt gemacht wurde es von der Organisation Foodwatch, die seit langen gegen Nahrungsmittelspekulation agiert.

Sechs von Forschungsabteilungen der Deutschen Bank und der Allianz verfasste Papiere zu den Folgen von Nahrungsmittelspekulation hat die NGBO ins Netz gestellt. Foodwatch zitiert aus einem bei DB-Research verfassten Papier diese Einschätzung: "Bedenkt man jedoch [...] den massenhaften Zustrom von Fonds und nicht-traditionellen Teilnehmern auf die Rohstoffmärkte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Spekulation übermäßige Preisentwicklungen zumindest fördert, und zwar in beide Richtungen. Selbst wenn spekulative Kapitalströme nicht unbedingt der Auslöser für die Preisbewegungen der Jahre 2007 und 2008 waren, so ist es doch wahrscheinlich, dass sie die Preisentwicklung zumindest verstärkt haben."

Kein empirischer Beleg?

Sie erhält ihre Brisanz vor allem durch die Auftraggeber der Forschung. Schließlich haben Vertreter der Deutschen Bank in der Öffentlichkeit immer den Eindruck erweckt, dass es die Nahrungsmittelspekulation keinen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise hat. So heißt es in einer Stellungnahme von Deutsche-Bank-Chefvolkswirt David Folkerts-Landau vor dem Ausschuss für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit im Deutschen Bundestag am 27. Juni 2012:

"Es gibt kaum stichhaltige empirische Belege für die Behauptung, dass die zunehmende Bedeutung von Agrarfinanzprodukten zu Preissteigerungen oder erhöhter Volatilität geführt hat."

Noch deutlicher wurde DB-Co-Vorstandschef Jürgen Fitschen bei der diesjährigen "Grünen Woche" in Berlin. Dort erklärte er nicht nur, dass Untersuchungen "kaum stichhaltige Belege für einen Zusammenhang dieser Geschäfte mit dem Hunger in der Welt" erbracht hätten. "Im Gegenteil: Agrar-Derivate erfüllten für Nahrungsmittelproduzenten eine wichtige Funktion im weltweiten Handel. Mit dem Kauf dieser an Börsen gehandelten Papiere können sich Landwirte gegen fallende Preise absichern und ihr Angebot besser planen. Deshalb hat die Deutsche Bank entschieden, dass sie im Interesse ihrer Kunden weiterhin Finanzinstrumente auf Agrarprodukte", wird Fitschen von der FAZ zitiert. Hier wird eine Entscheidung, die die Bank zur Mehrung ihrer Gewinne getroffen hat, so dargestellt, als wäre sie im Interesse der Landwirte.

Die Forschungsergebnisse aus dem eigenen Haus, die Zusammenhänge zwischen den Agrarderivaten und der Preisentwicklung herstellen, werden in den Erklärungen ignoriert. Organisationen wie Foodwatch können die nun bekannt gewordenen Papiere gut für ihre Kampagne gegen Agrarderivate nutzen - und das ist auch sinnvoll.

Allerdings sollte man sich vor zu großer moralischer Verve hüten. Wenn Foodwatch jetzt David Folkerts-Landau vorwirft, bei seiner Erklärung im Parlament gelogen zu haben und der Foodwatch-Geschäftsführer Thilo Bode den eigentlichen Skandal darin sieht, "dass Deutsche Bank und Allianz ganz genau wissen, welchen Schaden sie mit ihren Finanzprodukten anrichten - aber die Öffentlichkeit täuschen und sogar den Bundestag belügen, um weiterhin ohne Skrupel Geschäfte auf Kosten Hungernder zu machen", wird die Verwertung, der die Nahrungsmittel wie alle Waren im Kapitalismus unterliegen, auf das als moralisch verwerflich bezeichnete Handeln von Managern simplifiziert.

Natürlich werden in Forschungsabteilungen großer Firmen unterschiedliche Hypothesen untersucht. So ist auch anzunehmen, dass Forschungsabteilungen von Energiekonzernen im AKW-Geschäft über die Gefährlichkeit der Radioaktivität forschen. In den Erklärungen der Konzernverantwortlichen aber werden natürlich die Aspekte im Mittelpunkt gestellt, die ihren Geschäftsinteressen dienen. So gehen übrigens auch die Nichtregierungsorganisationen bei der Verfolgung ihrer Interessen vor. Die Frage ob die Agrar-Derivate abgeschafft werden, ist denn auch eine Frage von gesellschaftlichem Druck möglichst auf internationaler Ebene. Forschungsergebnisse können ihn verstärken. Dabei könnte aber auch die Frage gestellt werden, warum Nahrungsmittel überhaupt eine Ware sein müssen.