Der Lack ist ab, der Glanz verflogen

Visionär Obama ist auf dem Boden der politischen Kompromissbildung hart gelandet

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Wer erinnert sich noch der pompösen Feiern und der glamourösen Formeln, die Barack Obamas Wahlkampf und erste Amtseinführung auf dem Kapitol vor gut einem halben Jahr begleitet haben ( Barack Obama feiert sich wie ein Sonnenkönig)? Mit viel Pathos, Hymnen und Enthusiasmus ist er von den Medien ins Amt geleitet worden ( Mit roten Bäckchen). Selbst in Hochburgen des Antiamerikanismus kam es seinerzeit zu kollektiven Gefühlswallungen.

Positive Nachrichten

Der weltweite Groll, der sich über Jahre gegen die Supermacht aufgestaut hatte, schien sich über Nacht in tränenselige Rührung und Begeisterung verwandelt zu haben. Sahen die einen in seinem Triumph eine Art „Projektionsfläche“ für jenen vielzitierten amerikanischen Traum, der die Chance auf das Glück aller verspricht, feierten ihn die anderen gar als „Popstar“ und „Erlöser“, der jenem liberalen Amerika, das einst auf den Werten der Freiheit gegründet wurde, seine einzigartigen Ideale wiedergibt.

Die Erwartungen waren buchstäblich auch groß. So groß, dass wochenlang trotz Wirtschafts- und Finanzkrise nur eines das Gemüt der Massen zu bewegen schien: die Kapriolen von Bo, dem Präsidentenhund. Einer Umfrage zufolge setzten die Amerikaner noch große Hoffnungen in den Neuen. Zwei Drittel der Befragten erklärten, Obama werde ein überdurchschnittlicher Präsident sein. 28 Prozent von ihnen hielten ihn sogar für herausragend. Und auch in wirtschaftlichen Fragen traute man ihm einiges zu: 71 Prozent sagten, die Konjunktur werde sich im ersten Jahr seiner Präsidentschaft wahrscheinlich verbessern.

Enormer Erwartungsdruck

Zu beneiden war der Präsident um seine Aufgaben allerdings nicht. Schon im Vorfeld hatten wohlmeinende Stimmen, Madelaine Albright oder James Holbrooke etwa, ihm Lasten auf die Schultern gelegt, von denen er, wenn er sich tatsächlich an allen versuchen sollte, nur erdrückt werden kann. Er müsse, so hieß es, die Rezession in den Griff bekommen und gleichzeitig die Bürokratie entflechten; aber auch drei Kriege gleichzeitig managen, im Irak, in Afghanistan und gegen Al-Qaida, und einen möglichen vierten oder fünften in Pakistan oder gegen den Iran verhindern. Sodann müsse er die Beziehungen zu den Verbündeten wieder normalisieren und das Ansehen der Weltmacht, ihre Glaubwürdigkeit und ihre globale Führungsrolle wiederherstellen, zugleich aber auch die Abhängigkeit des Landes vom Öl herunterschrauben und das Augenmerk auf alternative Energien lenken. Schließlich müsse er noch versuchen, die Konflikte im Nahen Osten zu entschärfen, den Völkermord in Darfur stoppen und die wachsenden Spannungen mit Ländern Südamerikas lösen.

Harte Landung

Gut ein halbes Jahr nach Amtseid und Beginn seiner Präsidentschaft sind die „Flitterwochen“ vorbei. Der Vertrauensvorschuss ist aufgebraucht, die Trunkenheit der Ernüchterung gewichen. Während seine Popularitätswerte sinken und er im Umfragetief steckt, tauchen bereits die ersten Zweifel an seiner Führungskraft auf. Gleichzeitig Umfragetief-Obama-verliert-R%FCckhalt-im-Volk/542691.html: verliert er auch zunehmend das Vertrauen und den Rückhalt in der Bevölkerung.

Mehreren Umfragen zufolge, die Gallup, aber auch die „Washington Post“ zusammen mit dem Fernsehsender „ABC“ in Auftrag gegeben haben, kann der Präsident nur noch auf eine Zustimmungsquote von knapp 55 Prozent zurückgreifen. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung lehnt seine Politik sogar ganz ab. Mehr als die Hälfte sind der Meinung, dass sich das Land in die falsche Richtung bewege.

Scheitern vorprogrammiert

Grund dafür ist vor allem die geplante Gesundheitsreform, die wichtigster Bestandteil seines Wahlprogramms war und die der Präsident trotz der massiven Schuldenmacherei unbedingt durchboxen will. Ziel der Reform ist es, allen Amerikanern (zurzeit ist knapp ein Sechstel unterversorgt oder finanziell nicht abgesichert) zu einer Krankenversicherung zu verhelfen. Zudem geht es um Kostensenkung. Das US-Gesundheitssystem gilt zwar als eines der weltweit besten, aber auch mit ca. zweieinhalb Billionen Dollar als das teuerste überhaupt.

Angesichts der enormen Kosten, die die Reform fordert, stößt sie sowohl in der eigenen Partei als auch im demokratisch beherrschten Kongress zunehmend auf Skepsis. Laut einem Bericht der „New York Times“ belasten Teile der Reform den durch die Wirtschaftskrise höchst angespannten Haushalt mit weiteren eineinhalb Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren. Nach oben zitierter „Gallup“-Umfrage sind vier von fünf Amerikanern der Ansicht, dass die von Obama angestrebte neue Gesundheitspolitik die Kosten der Versorgung erhöhen und/oder deren Qualität mindern werde.

Die Zweifel wachsen

Andererseits zeigen sich die Bürger über die Finanzlage der USA besorgt. Die Schuldenlast soll bis 2019 um etwa elf Billionen Dollar wachsen, gleichzeitig hat das Defizit knapp ein Vierteljahr vor Ende des Haushaltsjahres bereits die Schallmauer von einer Billion Dollar durchstoßen. Da nimmt es nicht Wunder, dass die Hälfte aller US-Bürger die Ausweitung des Defizits im Staatshaushalt ablehnt.

Nach einem Bericht der „Washington Post“ glaubt nur noch jeder zweite Amerikaner an die Wirksamkeit des 787 Milliarden Dollar Konjunkturpakets – auch weil trotz des Ausgabenprogramms die Arbeitslosigkeit weiter steigt und immer mehr Eigenheime zwangsversteigert werden.

Hinzu kommt, dass an der Wall Street die mit Steuermilliarden hochgepäppelten Großbanken wieder satte Gewinne einfahren. Dank des Booms an den Märkten schütten JP Morgan Chase und Goldman Sachs schon wieder Bonuszahlungen an ihre Manager aus. Und da eine Reihe dieser Banken einen Großteil ihrer Staatshilfen an den Staat bereits zurückgezahlt haben, besitzt der Mann im Weißen Haus nur wenig Mittel, dagegen vorzugehen. Die angekündigte Verschärfung der Finanzaufsicht oder das Gesetz zum Verbot solcher Zahlungen scheinen wegen der zu erwartenden Protesten der beiden US-Kammern Makulatur zu sein. Hilflos muss der Präsident eingestehen, dass sich weder an der Kultur noch am Verhalten der Manager, hohe Risiken einzugehen, irgendetwas geändert hat.

Außenpolitischer Nebel

Schließlich konnte auch Obamas außenpolitisches Engagement diesen Abwärtstrend nicht aufhalten. Weder aus dem Nahen Osten noch aus Afghanistan können nennenswerte Ergebnisse vermeldet werden. Die Siedlungspolitik geht trotz lauter Kritik unvermindert weiter, und die Taliban erwecken nicht den Eindruck, als ob sie sich von Obamas Rhetorik irgendwie einschüchtern oder gar schrecken ließen. Auch in Sachen Guantanamo oder in den Verhandlungen über das Nuklearprogramm des Iran sind trotz hehrer Ankündigungen keine Lösungen in Sicht. Die Fortschritte der Lage, die im Irak zu beobachten sind, gehen zum Großteil noch auf Maßnahmen seines Vorgängers zurück. Zugute halten darf sich der Präsident aber, was wiederum nicht besonders schwer ist, den Ruf und das weltweite Ansehen des Landes gestärkt und die Beziehungen zu den Verbündeten nachhaltig verbessert zu haben.

Unklar ist hingegen, wer die Außenpolitik des Landes bestimmt. Nach anfänglich reger Reisetätigkeit ist die zuständige Ministerin zunehmend abgetaucht. Von ihr hört man nur noch wenig, dafür mehr von ihrem Gatten Bill, der nach Nordkorea gereist ist, um zwei Journalistinnen dort abzuholen. Andererseits hat Obama Frau Clinton wichtige Regionen aus der Hand genommen. Entweder hat sie der Präsident mit Sondergesandten besetzt oder er managt sie gleich selbst auf seinen Auslandsreisen nach Europa oder in den Mittleren Osten.

Posterboy-Image Trotz des überaus positiven nationalen wie internationalen Medienechos auf Obamas Reden, die er etwa in Prag oder Kairo gehalten hat, zahlt sich dies laut Gallup nicht in mehr Zustimmung bei der eigenen Bevölkerung aus. Im Gegenteil, angesichts der unzähligen Auftritte und Pressekonferenzen, Interviews und Bürgertreffen, die er tagtäglich absolviert, war in der „Los Angeles Times“ auch schon von einem Obamathon zu lesen, von dem die Bürger allmählich die Nase voll hätten. Statt mit gepflegter Rhetorik an seinem Posterboy- und Celebrity-Image zu basteln, sollte der Präsident sich lieber aktiv um die Probleme des Landes kümmern und den vielen schönen Reden endlich Taten folgen lassen. Neben dem Irak-Krieg und der Bekämpfung von Rezession und Wirtschaftskrise war die gigantische Schuldenpolitik des Vorgängers George W. Bush die stärkste „Waffe“ Obamas im Kampf um die Präsidentschaft. Gut ein halbes Jahr nach dem Machtwechsel in Washington scheint der neue Präsident da weiterzumachen, wo der alte aufgehört hat. Am Dienstag feierte er seinen 48. Geburtstag, Ganz unglamourös, wie „die Welt“ zu berichten weiß. Zu größeren Feierlichkeiten dürfte ihm auch nicht zumute gewesen sein.