"Diese Vokabel Kernexplosion wird im Westen überhaupt nicht geschätzt"

Sebastian Pflugbeil von der Gesellschaft für Strahlenschutz ist der Überzeugung, dass durch die Explosion in Tschernobyl entgegen offizieller Angaben fast der gesamte Kernbrennstoff in die Umwelt gelangte

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Der vor 25 Jahren durch Kernschmelze zerstörte Reaktorblock in Tschernobyl wurde durch einen Sarkophag aus Beton gesichert, der dringend ganz erneuert werden müsste. Geplant ist nun ein Mantel, den man über den Reaktor und den Sarkophag schieben, um den Austritt von Radioaktivität zu verhindern. Der Bau des Schutzmantels, der 1,6 Milliarden Euro kosten und mindestens 100 Jahre halten soll, wurde immer wieder verschoben. Jetzt wurden auf einer Geberkonferenz zu den bereits vorhandenen 860 Millionen Euro zusätzlich 550 Millionen Euro versprochen. Das dürfte aber immer noch nicht ausreichen ( Geld für Tschernobyl). Der ukrainische Präsident Janukowitsch rief zum Jahrestag zu weiteren Spenden auf und erinnerte daran, dass ein Land alleine eine solche Katastrophe gar nicht bewältigen könne.

Allgemein geht man davon aus, dass sich ein Großteil der Reaktorkernmasse noch in der durch den Sarkophag eingeschlossenen Halle befindet und nur ein kleinerer Teil durch die Explosion und den nachfolgenden Brand ausgetreten ist. Von den 190 Tonnen Reaktorkernmasse sollen nach Schätzungen 150-180 Tonnen noch im Gebäude sein, aber es sind viele Zahl über das Ausmaß und die Folgen des Super-GAUs umstritten, oft gibt es keine verlässlichen offiziellen Angaben. Sebastian Pflugbeil von der Gesellschaft für Strahlenschutz hat diese Darstellung, die auch schon früher bezweifelt wurde, gestern in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erneut bestritten. Für Pflugbeil gibt es ein Missverhältnis zwischen den Geldern, die man für den Bau eines zweiten Sarkophags zur Verfügung stellt, und der auch finanziellen Gleichgültigkeit gegenüber den Menschen, die Opfer des Unglücks waren und sind. Er vermutet, dass durch die glitzernde technische Hülle demonstriert werden, "wie gut man so einen Unfall händeln kann".

Daher hätten er und seine Kollegen sich das einmal näher angeschaut. Aufgrund von Indizien gehe er davon aus, dass 5-10 Prozent des Kernbrennstoffs noch im Gebäude sind, alles andere sei durch die Explosion bereits ausgetreten. Wenn offizielle Stellen hingegen von 90-95 Prozent sprechen, dann wolle man damit nur den Bau der neuen Schutzhülle legitimieren. Aber es sei Unsinn, dass von dem verbliebenen Kernbrennstoff noch große Gefahr ausgehe. Pflugbeil ist der Meinung, dass die offizielle Darstellung erneut der Verharmlosung dient, wie die Regierungen in Ost und West auch 1986 zunächst die Lage verharmlost hatten. Und er hat auch eine interessante Deutung, warum man an dieser Verharmlosung festhalten würde. Wie in Fukushima spricht man zwar von einer Kernschmelze, in Tschernobyl ist von einer Explosion und einem Brand die Rede. Für Pflugbeil hatte es sich aber um eine Kernexplosion gehandelt, was in der Tat schon viel gefährlicher klingt und die beanspruchte Kontrolle über die Kernenergie stärker in Frage stellt:

"Freunde von mir sind da drin gewesen in dem Sarkophag und haben speziell nach dem Verbleib des Kernbrennstoffs gesucht und so gut wie nichts gefunden. Alles was bisher so offiziell dazu geäußert wurde, hat sich als Ente herausgestellt. Es ist der größte Teil nach oben mit einer Kernexplosion herausgeflogen, hat sich in der Gegend verteilt. Diese Vokabel Kernexplosion wird im Westen überhaupt nicht geschätzt. In Verbindung von Kernkraftwerken, dass es da Kernexplosionen geben kann, steht in keinem Lehrbuch, und man möchte das auch nicht rein haben, deshalb tabuisiert man das und erzählt falsche Dinge."