Die Lage in Großbritannien ist nicht schlimmer als erwartet

Jetzt will der neue Premier David Cameron die reale Lage erkannt haben und setzt nun auf einen scharfen Sparkurs

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Es scheint in Mode zu kommen, nach Wahlen Haushaltslöcher zu offenbaren, von denen vor dem Urnengang alle gewusst haben. Erst war es Griechenland, dann zog letzte Woche Ungarn nach und malte sogar die Staatspleite an die Wand (siehe "Pleite 2.0"). Nun gesellt sich der Brite David Cameron in die erlauchte Gesellschaft. Doch während es im Fall von Griechenland und Ungarn sogar größere Löcher als gemeldet gab, spielt Cameron nur Theater, wenn er erklärt: "Das Gesamtproblem ist noch schlimmer, als wir gedacht haben".

Denn das ist definitiv nicht der Fall. Er versucht offenbar nur davon abzulenken, dass er bisher den Wählern keinen reinen Wein eingeschenkt hat, um die Wahlen gewinnen zu können. Hatte die Labour-Regierung zunächst mit einer Neuverschuldung im letzten Haushaltsjahr von 178 Milliarden Pfund gerechnet, senkte sie die Prognose im Frühjahr sogar auf 167 Milliarden (siehe Wer von Athen spricht, darf von London nicht schweigen).

Das war korrekt, denn als das Fiskaljahr, das im Königreich bis Ende März andauert, nun beendet wurde, waren es sogar nur 156 Milliarden Pfund. Dass ist zwar noch immer ein enormes Defizit, aber, anders als in Griechenland oder Ungarn, findet Cameron tatsächlich eine bessere Lage als erwartet vor. Denn das Defizit macht 11% aus, statt der bisher erwarteten 11,8%. Bisweilen hatte Labour sogar 12,7 % prognostiziert. Tatsächlich liegt Großbritannien also nun hinter Irland (14,3%), Griechenland (13,6%) und Spanien (11,2%) nur noch auf dem vierten Rang.

Nun rechnet Cameron seinen Landsleuten vor, dass allein die Zinslast für die Staatsschulden binnen fünf Jahren bei etwa 70 Milliarden Pfund (rund 84 Milliarden Euro) liegen werde. "Das ist eine erschütternde Zahl", meinte Cameron. Komisch ist, dass diese Zahl ihn erst nach den Wahlen erschüttert, obwohl er vor den Wahlen eine noch höhere Zahl zu erwarten hatte. Doch davon wollte er nicht sprechen und hielt sich, wie Labour, vor den Wahlen mit Sparvorschlägen zurück, die Wählerstimmen hätten kosten können. Doch plötzlich, so Cameron, müssten die Briten ihren "gesamten Lebensstil" auf Jahrzehnte ändern.

So wenig originell er den Menschen nun einen Sparkurs verkaufen will, so wenig einfallsreich sind auch seine Sparpläne. Bisher sind seine Vorstellungen noch äußerst rudimentär. Doch der Premier hat angedeutet, dass er in erster Linie an Einsparungen im Sozialbereich und im öffentlichen Dienst denkt. Cameron denkt zudem über das Einfrieren staatlicher Leistungen, über Einschnitte bei Steuererleichterungen für Familien mit Kindern nach. Genaues wird man am 22. Juni erfahren, wenn die Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten ihre Sparpläne vorstellen wird. "Wie wir mit diesen Dingen umgehen, wird Auswirkungen auf unsere Wirtschaft haben, auf unsere Gesellschaft und in der Tat auf unsere ganze Lebensweise", erklärt Cameron.

Man müsse jetzt handeln, damit die Zinsen nicht in die Höhe kletterten. Höhere Zinsen führten dazu, dass noch mehr Geld in den Schuldendienst fließe, die dann an anderer Stelle fehlten. Das stimmt, doch das hätte ihm auch schon einfallen können, als man Milliarden in die maroden Banken gepumpt hat. Und wenn man sich in die Reihe mit Ländern wie Griechenland, Spanien, Irland, Ungarn, Portugal stellt (siehe Der Euro stürzt ab), die gerne als Pleitekandidaten gehandelt werden, darf man sich nicht wundern, wenn man auch so behandelt wird.

Ein weiser Politiker würde es vermeiden, den Rating-Agenturen eine Steilvorlage zu liefern. Doch sogleich hat sich danach sofort die Rating-Agentur Fitch besorgt über die desaströse Haushaltslage in Großbritannien geäußert und damit wurde sofort das Pfund auf Talfahrt geschickt. Es fiel auf 1,4366 Dollar und sogar der gebeutelte Euro legte leicht auf 82,96 Pence zu. Diese "Besorgnis" von Fitch schlägt sich üblicherweise auch in steigenden Zinsen für Staatsanleihen wieder. Es passiert also genau das, was Cameron angeblich vermeiden wollte.

Für Fitch bieten sich grob zwei Analysen für ihre jetzige Besorgnis. Entweder die "Experten" zeigen erneut, dass sie keinen blassen Schimmer von der Haushaltslage in den bewerteten Ländern haben, sich ihre Analyse also auf die Auswertung von Politikeraussagen beschränkt. Oder den Analysten ist jedes Mittel recht, um eine Abstufung der Bonität in Aussicht zu stellen, wenn es sich um ein Land der EU handelt. Ohnehin durfte man sich angesichts der Wirtschaftslage im Königreich eher fragen, warum das Land, dessen Defizit so hoch wie das in Spanien ist, dessen Staatsschulden aber deutlich höher sind, überhaupt noch die Bestnote "AAA" erhält, die Spanien längst aberkannt wurde.