Enteignung, Diebstahl oder Plünderung?

Eine Gewerkschaft hat in Südspanien in zwei Supermärkten Lebensmittel "enteignet", um sie an Bedürftige zu verteilen

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In Spanien tobt eine wilde Debatte, nachdem am Dienstag Aktivisten der kämpferischen Andalusischen Arbeitergewerkschaft ( SAT ) in zwei Supermärkten Grundnahrungsmittel "enteignet" haben, um sie an Bedürftige zu verteilen. Es handelt sich um ein Beispiel dafür, wie sich die Proteste im Land zusehends radikalisieren. # Die Aktivisten haben darauf aufmerksam gemacht, dass es darum geht, Familien zu retten und keine Banken. Denn während spanische Banken mit bis zu 100 Milliarden Euro weich ins Netz fallen, wissen viele Familien nicht mehr, wie sie sich ernähren sollen. Mehr als 300.000 Familien seien schon aus ihren Wohnungen geworfen worden, weil sie ihre Miete oder Kredite nicht mehr bezahlen konnten, und viele Familien erhalten bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 34% in Andalusien schon längst keinerlei Unterstützung mehr, weil es eine Sozialhilfe nicht gibt.

Während Steuerhinterzieher ihr Schwarzgeld mit einer minimalen Abgeltungssteuer von höchstens 10% legalisieren können, womit ihnen "dutzende Milliarden Euro geschenkt werden", werde die Mehrwertsteuer erhöht, erhielten kleine Firmen weiter keine Kredite und im öffentlichen Dienst würden die Löhne gekürzt. Allein die Bankia-Bank erhalte 23,46 Milliarden Euro, kritisieren die Aktivisten. Tatsächlich denkt die konservative Regierung sogar darüber nach, das Sozialgeld Mitte August auslaufen zu lassen. Es wird für sechs Monate bezahlt, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausgelaufen ist.

Letztlich kam es zu der "Enteignung" von insgesamt neun Einkaufswagen nur im Mercadona im südspanischen Écija, denn der Carrefour in Arcos de la Frontera entschloss sich im Gespräch mit den Landarbeitern, 12 mit Nudeln, Reis, Linsen, Zucker, Kichererbsen und anderen Nahrungsmitteln gefüllte Einkaufswagen an drei Dörfer zu spenden, um sie an bedürftige Familien zu verteilen. Der Mercadona stellte aber Strafanzeige. Obwohl es sich um ein Vorgang handelt, der in Spanien als "hurto" gilt und strafrechtlich nicht zu greifen ist, hat der Innenminister die Festnahme der Aktivisten angeordnet.

Zwei Personen wurden schon festgenommen, weitere Festnahmen sind geplant. Da der Justizminister weiß, dass eigentlich die Regierung einer unabhängigen Justiz Verhaftungen nicht befehlen kann, hat er angeordnet, dass die Staatsanwaltschaft die Vorgänge untersuchen soll. Eine reale Trennung besteht ohnehin nicht, da sogar die Staatsanwaltschaft in Spanien ein Ministerium ist. Eine Vorladung soll auch der bekannte Juan Manuel Sánchez Gordillo erhalten. Er ist Parlamentarier der Vereinten Linken (IU) im Regionalparlament und Bürgermeister von Marinaleda, eine erfolgreich nach sozialistischen Grundsätzen organisierte Gemeinde.

Gordillo befand sich vor dem Supermarkt in Écija und er kündigte weitere Aktionen an. Erst kürzlich hat die Gewerkschaft erneut Ländereien besetzt, in diesem Fall gehören sie dem Verteidigungsministerium. Gefordert wird, das Land an landlose Bauern zu verteilen. "Er werde nicht fliehen", sagte er. Irgendjemand müsse etwas tun, damit die Familien etwas zu Essen auf den Tisch bekommen, fügt Gordillo an. Er vergleicht das Vorgehen der konservativen Regierung unter der Volkspartei (PP) mit dem ihrer franquistischen Vorgänger, von der sich die Partei nie distanziert hat. "Auch im Franquismus wurde stets der Anführer verhaftet", sagte er. Ob man ihm überhaupt etwas vorwerfen kann, bezweifelt er, denn er hat den Supermarkt nicht einmal betreten.

Die Aktion hat ihr Ziel mehr als erreicht. Bis in Spiegel-Online hat die Aktion ihr Echo gefunden, wobei überzogen von "Plünderung" gesprochen wird. In ganz Spanien wird über den Vorgang diskutiert und viele solidarisieren sich angesichts der Not zahlloser Menschen mit der Aktion. Bei einer Abstimmung der Zeitung Publico sprechen sich fast 90% dafür aus, "in extremen Fällen Nahrungsmittel zu beschlagnahmen". Während sich auch Teile der spanischen IU von der Aktion distanzieren, spricht der andalusische IU-Chef und Vizepräsident der Regionalregierung von einem "symbolischen Akt". Diego Valderas ist zwar mit der "Form" nicht einverstanden, aber hält die Debatte über die sich ausbreitende Armut für notwendig. Der sozialistische Regierungschef José Antonio Griñán sprach allerdings von einem "barbarischen Akt".