Türkei wird Teil des EU-Abschiebebetriebs

Nach jahrelangen Verhandlungen steht ein Rückübernahmeabkommen zwischen der EU und der Türkei vor dem endgültigen Abschluss. Die Unterschrift aus Ankara wird noch im Juni erwartet

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Der deutsche Bundesinnenminister hatte es bereits angekündigt: Das mit der Türkei geplante Rückübernahmeabkommen liege unterschriftsreif in der Schublade. Damit können zukünftig unerwünschte Migranten in die Türkei abgeschoben werden. Hierfür muss allerdings nachgewiesen werden, dass sie über diesen Weg auch in die EU eingereist waren. Das Abkommen sieht für diesen Fall auch "Sammelflüge zur Rückführung" vor.

Ein Entwurf der Ratsentscheidung, für die der Ausschuss eine Unterzeichnungsermächtigung erteilte, ist in deutscher Sprache auf der Webseite der österreichischen Regierung veröffentlicht. Neben dem EU-Kommissar Stefano Manservisi hat auch der türkische Botschafter in Brüssel grünes Licht gegeben. Das Regelwerk ist im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (AStV) verabschiedet worden. Das bedeutet, dass unter den 27 Regierungen Einigkeit besteht. Im Außenministerrat wurde das Thema daher nicht mehr verhandelt, sondern lediglich als "Aussprache" auf der Tagesordnung vermerkt.

Seit 2000 hat die EU-Kommission 20 Mandate für Verhandlungen von Rückübernahmeabkommen erhalten. Mit 13 Staaten wurden derartige Verträge bereits geschlossen, darunter Sri Lanka, Albanien, Russland, Ukraine, Serbien und Pakistan. Erst kürzlich wurde ein Abkommen mit Kap Verde unterzeichnet. Algerien lehnt Verhandlungen ab, während sie mit Marokko ins Stocken geraten sind.

Strikte Bedingungen für Visaerleichterungen

Die Verhandlungen waren bereits im Januar 2011 beendet. Den Ausschlag gab aber erst der Besuch des "Erweiterungskommissars" Štefan Füle im Mai in Ankara. Zuvor hatte die Türkei eine Ratifizierung noch von einer perspektivischen Visafreiheit für kurze Aufenthalte abhängig gemacht. Davon ist jetzt allerdings keine Rede mehr, stattdessen geht es um "Visaerleichterungen". Die Kommission soll nun mit der Türkei einen "Action Plan" aufstellen, um die schrittweise Lockerung der Visa-Auflagen einzuleiten. Diese sollen aber "erfolgsabhängig" sein und werden an strikte und umfangreiche Bedingungen geknüpft.

Außer einer Enthaltung aus Frankreich hatten alle Mitgliedstaaten zugestimmt. Die Regierung in Paris hatte eine fehlende Übersetzung moniert. Großbritannien zeigt sich ob der Geschwindigkeit der anvisierten Unterzeichnung überrascht und meldet eine Erklärung zur vorläufigen Nicht-Teilnahme an. Obwohl das Land nicht Teil der EU ist, nimmt es an zahlreichen Maßnahmen der EU-Justiz- und Innenpolitik teil. Allerdings verfügt die Regierung über eine Klausel zum "opt in" und "opt out". Eine spätere Teilnahme ("opt in") an dem Rückübernahmeabkommen wird erwartet. Tatsächlich wird in dem Brief an die Ratspräsidentschaft erklärt, man wolle die Verhandlungen mit der Türkei nicht "hinauszögern".

Allerdings bleiben zahlreiche Fragen offen. Die Türkei hat beispielsweise nicht nachgewiesen, über genügend Haftanstalten zu verfügen. Zudem ist nicht gesichert, dass die Haftkapazitäten internationalen Menschenrechten genügen. Etwas Bewegung gab es lediglich hinsichtlich der Erschwerung von Gründen, um Untersuchungshaft zu verhängen. Immer noch werden aber etliche politische Straftaten als "Terrorismus" verfolgt. Jetzt soll der Europarat mit der Türkei einen "Menschenrechtsaktionsplan" aushandeln.

Mehr Zusammenarbeit auch mit Polizei und Justiz

Angesichts der zunehmend militarisierten Migrationsabwehr am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros stellt der Vertrag einen Meilenstein in der Bekämpfung unerwünschter Migration dar. Bemerkenswert ist, dass das Abkommen die Zusammenarbeit mit den EU-Polizeibehörden Frontex und Europol festschreibt.

Die zunehmende Einbindung von Europol in die Migrationsabwehr hatte Beobachter bereits in der kürzlich veröffentlichten EU-Aktion gegen Migrationsdruck - Eine strategische Antwort überrascht. Dort war die Verzahnung von Frontex mit den Grenzbehörden Griechenlands und der Türkei in einem eigenen Prioritätsbereich formuliert worden. EU-weit einmalig soll zudem ein "trilaterales gemeinsames Kontaktzentrum für Polizei-, Grenzschutz- und Zollzusammenarbeit" entstehen, in das auch Bulgarien eingebunden wird ( Panzergraben, Grenzzaun, Wachroboter und mehr deutsche Polizei).

Tatsächlich ist die Eile bezüglich des Abschlusses des Rückübernahmeabkommens mit einer weiteren Initiative zu erklären: Unbemerkt hat die EU "Schlussfolgerungen des Rates zum Ausbau der Zusammenarbeit mit der Türkei in den Bereichen Justiz und Inneres" verabschiedet. Das Papier wurde im Rat für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO) ebenfalls ohne Aussprache angenommen. In dem Text sind Abschluss sowie Umsetzung des Rückübernahmeabkommens niedergelegt, wofür ein späterer Aktionsplan Näheres bestimmen soll. Neben einer angemahnten "effizienteren Steuerung der Migration" und einem "effizienteren Grenzmanagement" wird in den "Schlussfolgerungen" wieder die "Liberalisierung der Visaregelung" in Aussicht gestellt.

Doch auch die justizielle Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen soll ausgebaut werden, wozu neben "Schleuserkriminalität" auch "Menschenhandel, Drogenhandel und Geldwäsche" gezählt wird. Hierzu verhandelt Frontex ein Arbeitsabkommen mit der Türkei. Auch mit Europol soll die Regierung ein entsprechendes Regelwerk unterzeichnen.

Zypern und Griechenland waren zunächst reserviert und fürchteten offenbar, vom Erzfeind Türkei in Polizeiangelegenheiten ausgespielt zu werden. Erst eine entsprechende "Firewall" hat die beiden Länder beruhigt: Nun ist im Abkommen eine "effektive Kooperation mit allen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Belange Justiz und Inneres" festgelegt.