Arbeitslosen-Tombola

Das Bendorfer Jobcenter verloste Dienstleistungen von Hartz-IV-Empfängern über 50 an Unternehmen

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Bendorf ist ein beschauliches Städtchen in Rheinland-Pfalz. Es hat nur etwa 17.000 Einwohner, aber ein Jobcenter und einen Weihnachtsmarkt. In dessen Rahmen wurde im letzten Jahr eine Tombola abgehalten – eine förmliche Verlosung. Bei ihr gab es keine Reisen oder Autos zu gewinnen, sondern Dienstleistungen: vom Putzen bis hin zur EDV-Schulung. Ein weiterer Unterschied zu einer regulären Tombola war, dass die Lose nichts kosteten und dass es keine Nieten, sondern nur Gewinner gab. Dafür konnten sie auch nicht von einfachen Bürgern erworben werden, die ungern selbst putzen, sondern nur von Unternehmen die vorher eine "grundsätzliche Bereitschaft" erkennen ließen, "älteren Arbeitnehmern, die lange Zeit in keinem Arbeitsverhältnis waren, eine Chance zu geben".

Veranstalter der Tombola waren das örtliche Jobcenter und der Projektträger DG Mittelrhein. Für die Gewinnausschüttung nutzte man "Stammkräfte der DG Mittelrhein" - Hartz-IV-Empfänger über 50, die in Deutschland als schwer vermittelbar gelten. Deshalb – so die Begründung der Aktion – sollten sie Firmen mit kostenloser Arbeit anfixen und von ihrer Leistungsfähigkeit überzeugen. Auf die Frage, ob durch die Aktion tatsächlich jemand an eine feste Arbeitsstelle gelangte, heißt es im Jobcenter Landkreis Mayen-Koblenz, man habe die Erbringung der Dienstleistungen "aufgrund des gewaltigen Medienechos […] abgebrochen", weshalb "auch keine Integrationen aus dieser Aktion mehr entstehen" könnten. Bei der DG Mittelrhein erteilt man Telepolis die Auskunft, dass bis jetzt ein Teilnehmer zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, dessen Ergebnis noch offen ist.

Das "gewaltige Medienecho" war unter anderem entstanden, weil sich ein enttäuschter Arbeitsloser, der nach dem Umsonstputzen nicht angestellt wurde, an das Portal gegen-hartz-iv.de gewandt hatte, das den Fall öffentlich machte. Dort kritisiert man die Tombola als "menschenverachtend" und vergleicht sie mit einem "Sklavenmarkt", auf dem sich alte Menschen zusätzlich durch die Mitwirkung an einer "weihnachtlichen Aufführung […] zum Affen machen" mussten.

Bei dem Theaterstück handelte es sich um eine Weihnachtsgeschichte von James Krüss, die der DG Mittelrhein zufolge "im weihnachtlichen Rahmen die Problematik der Arbeitslosen in unserer Gesellschaft thematisiert". Die Teilnahme daran sei keineswegs erzwungen gewesen und habe den Beteiligten viel Freude gemacht. Auch im Jobcenter betont man die Freiwilligkeit und ergänzt, dass weder bei dem Theaterstück noch bei den Tombola-Arbeiten mit Sanktionen gedroht wurde.

Mit der Verlosung wählte der Projektträger seinen eigenen Angaben nach bewusst einen "provokanten Weg [um], auf die schwierige Situation von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung im Arbeitsmarkt aufmerksam zu machen und zugleich Kontakte zu Unternehmen aufzubauen". Nicht dieser Weg sei "menschenverachtend", sondern die Situation, dass "Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden und keine Chance bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen". Über die durch das Medienecho angeregte Debatte gibt man sich in der DG deshalb nicht nur unglücklich.