Moskauer Studenten protestieren gegen Uni-Schließung

Die Uni steht auf einer Liste von 121 "nicht effektiven" Hochschulen, die das Bildungsministerium mit anderen Unis zusammenlegen oder schließen will

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Die Stimmung in der Uni ist gut. Zwei Nächte haben 400 Studenten aus Protest im Hochschulgebäude ausgeharrt, Filme geguckt und Wettkämpfe mit Computerspielen veranstaltet. Die ganze Uni hängt voller Transparente, auf denen steht: "Regierung wach auf." Gerichtet ist der Protest an den Kreml-Chef: "Wladimir Wladimirowitsch, hilf die Bildung in der Russischen Föderation zu erhalten."

Die Studenten haben Angst. Sie wissen nicht, was die Zukunft bringt. Wird die Uni geschlossen oder mit einer anderen Einrichtung – etwa mit der Höheren Schule für Ökonomie - zusammengelegt? Seit die Staatliche Universität für Handel und Wirtschaft (RGTEU) auf der vom Bildungsministerium erstellten Liste der "ineffektiven" Hochschulen steht, scheint alles möglich.

Die Protestaktion ist gut organisiert. Es gibt Video-Schaltungen mit anderen Unis im Land, die ebenfalls von der Schließung bedroht sind. Als Verpflegung gibt es Buchweizengrütze mit Würstchen. Vor dem Gebäude lodern nachts Feuer in Eisenfässern. Oben an der Glasfront der Uni hängen große Buchstaben, die eine Parole ergeben: "Keinen Schritt zurück, hinter uns steht die RGTEU." Die Parole klingt martialisch. Sie ist angelehnt an einen Aufruf aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals hieß es: "Keinen Schritt zurück, hinter uns steht Moskau."

Die Protestaktion stieß auf lebhaftes Interesse der russischen Medien . Seit Jahren hatte es keine derartigen Aktionen mehr gegeben. Das Interesse in der Bevölkerung ist groß, denn es gibt die Befürchtung, dass der zurzeit laufende Umbau des Bildungswesen nicht zu mehr Qualität führt, sondern zu einem Zwei-Klassen-Bildungssystem.

Am Donnerstagmorgen brachen die Moskauer Studenten ihre Protestaktion ab. "Wir haben Informationen erhalten, dass sich die Führung des Landes mit unseren Problemen beschäftigt", erklärte Albert Saripow vom Studentenrat. Am Mittwoch hatten sich die Studenten mit einem Vertreter des Bildungsministeriums getroffen. Wenn die RGTEU nicht von der Liste der "nicht effektiven" Universitäten gestrichen wird, werde man die Besetzungsaktion fortführen, erklärte der Vertreter des Studenten-Rates.

Der Rektor der Uni für Handel und Wirtschaft, Sergej Baburin, unterstützt die Protestaktion der Studenten, was ihm von Seiten des Bildungsministeriums den Vorwurf einbrachte, er wolle "persönliche" Forderungen durchsetzen. Baburin ist nicht unumstritten. Der ehemalige Duma-Abgeordnete ist Nationalist und gehört zu den Organisatoren des "Russischen Marsches".

Immer mehr Bildungsmaßnahmen nur noch gegen Geld

Viele Russen fürchten, dass immer mehr Bildungsangebote nur noch gegen zusätzliche Zahlungen zu haben sind. Schon jetzt zahlen Eltern für Nachhilfestunden, Spielgruppen für Kinder, Restaurierungsarbeiten in den Schulen, Vorbereitungskurse für die Uni. Selbst Hochschullehrer, die sich bisher nicht zu politischen Fragen äußerten, mischen sich jetzt ein, wie die Professoren der Sprachwissenschaftlichen Fakultät der Moskauer Uni MGU, die einen Offenen Brief gegen zunehmende Mittelkürzungen im Bildungssektor verfassten.

Das russische Bildungsministerium hat große Pläne. Eine Überprüfung ergab, dass 40 Hochschulen und 81 Hochschul-Filialen "nicht effektiv" sind. Auf der schwarzen Liste stehen auch die 1991 gegründete geisteswissenschaftliche Moskauer Reform-Uni RGGU und das altehrwürdige Gorki-Literatur-Institut, das ganze Generationen von Schriftstellern durchlaufen haben.

Ohne Investitionen in die Bildung sei die Modernisierung Russlands nicht möglich, so die Kritik der Oppositionsparteien in der Duma, KPRF und Gerechtes Russland. Zurzeit liegt der Anteil der Bildungsausgaben in Russland bei 4,2 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Man müsse die Ausgaben auf mindestens sieben Prozent anheben, weil doch schon das Aufsteigerland Brasilien zehn Prozent für die Bildung ausgibt, fordern die Oppositionsparteien.