Wulff nach dem dritten drin im neuen Anzug

Am Ende erreichte er mit 625 sogar die absolute Mehrheit

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Von Wahlgang zu Wahlgang konnte Christian Wulff seinen Stimmenanteil ausbauen, beim dritten Anlauf schaffte er sogar die absolute Mehrheit. Allerdings fehlten Wulff nach wie vor 19 Stimmen aus dem eigenen Lager. Das Ergebnis zeigt, dass die fehlenden Stimmen für Wulff weniger eine Ablehnung des Kandidaten als vielmehr eine Kritik an der Regierung Merkel darstellen. Auf Joachim Gauck entfielen im dritten Wahlgang 494 Stimmen. Es gab zwei ungültige Stimmen sowie 121 Enthaltungen, die zumindest zum größten Teil auf das Konto der Linkspartei gehen. Deren Kandidatin Jochimsen war im letzten Wahlgang nicht erneut angetreten.

Sofort nach den Ergebnissen gab Bundestagspräsident Lammert bekannt, dass Wulff mit sofortiger Wirkung von seinem Amt als niedersächsischer Ministerpräsident zurückgetreten sei Wulff nahm die Wahl "außerordentlich gerne" an.

Merkels Strategie ging nicht auf

Mit der Wahl von Christian Wulff sollte es einen Neuanfang für die durch endlosen Streitereien gequälte schwarz-gelbe Koalition geben. Union und FDP sollten zeigen, dass sie noch in der Lage sind, in wichtigen Fragen geschlossen aufzutreten. Dazu hätte Wulff möglichst schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen müssen. Wulff schien dafür ein absolut geeigneter Kandidat zu sein. Seit 2003 führt der Katholik erfolgreich und vor allem relativ geräuschlos in Niedersachsen eine Koalition mit den Liberalen - er ist ein Kandidat, der zwar als farblos gilt, sich allerdings mit seinen Positionen auch keine Feinde in den eigenen Reihen gemacht hat. Doch Merkels Rechnung geht nicht auf.

Schon die Eröffnungsrede des Bundestagspräsidenten Lammert, der eine Zeit lang selbst als Anwärter auf Bellevue galt, kann als Symbol gelten für das, was da kommen sollte: Lammert sagte, in einigen westlichen Ländern sei die Staatsspitze durch eine erbliche Monarchie besetzt, "mit dem durchaus beachtlichen Argument mancher Staatsrechtler, es sei klug, auch und gerade in einer Demokratie das Amt des Staatsoberhauptes dem Ehrgeiz der Parteien und gesellschaftlichen Gruppen zu entziehen und nicht der sonst unverzichtbaren Mehrheitsregel zu unterwerfen".

Einige Wahlmänner und -frauen lassen sich zu spontanem Applaus hinreißen, was Lammert sichtlich irritiert. Beifall ist erst zwei Sätze später vorgesehen - da nämlich stellt Lammert fest, dass das Amt des Bundespräsidenten den Regeln demokratischer Legitimation unterliege. Dabei ist klar, dass eine Niederlage von Christian Wulff auch dem Ende der Regierung gleichkäme, immerhin hat die Koalition einen bequeme Mehrheit von 22 Stimmen in der Bundesversammlung. Allerdings gab es im Vorfeld immer wieder Stimmen von Christdemokraten und Liberalen, die sich für Gauck ausgesprochen hatten - der Druck auf die Vertreter von Schwarz-Gelb ist daher groß.

Erster Wahlgang: "Ohrfeige"

Doch das Ergebnis des ersten Wahlganges ist eine schallende Ohrfeige für Schwarz-Gelb: 44 Wahlmänner und -frauen aus den Reihen der Koalition verweigern ihrem Kandidaten ihre Stimme. Noch kurz vor der Wahl erklärten Politiker aus dem Regierungslager übereinstimmend, es gebe nur eine geringe Zahl von Abweichlern, und die Wahl von Wulff schon im ersten Durchgang sei quasi ausgemachte Sache.

Im Gegenzug erreichte Joachim Gauck im ersten Durchgang mit insgesamt 499 Stimmen 37 Stimmen mehr, als ein Blick auf die Zusammensetzung der Bundesversammlung zunächst vermuten ließ. Doch auch Lukrezia Jochimsen erhielt mit 126 Stimmen zwei Stimmen mehr als die Linke in der Bundesversammlung hat. Zudem gab es 13 Enthaltungen und eine ungültige Stimme, möglicherweise Proteststimmen aus der Koalition.

Zweiter Wahlgang: "Niederlage"

Die Ergebnisse im zweiten Wahlgang waren für Wulff zwar ein wenig besser, aber nach wie vor fehlten Wulff acht Stimmen zur absoluten Mehrheit. Währrend Wolfgang Thierse das Ergebnis des ersten Wahlganges noch als Sieg für Joachim Gauck verstand, sei der zweite Wahlgang eine Niederlage für Angela Merkel gewesen. Peter Altmeier [http://www.cducsu.de/Titel__peter_altmaier/TabID__23/SubTabID__24/AbgID__92/WP__17/Abgeordnete.aspx] (CDU) erklärte, die Abweichler aus Union und FDP seien Menschen gewesen, die der Regierung mitteilen wollten: ihr müsst besser werden. Ralf Stegner [http://www.ralf-stegner.de] (SPD) sagte nach dem zweiten Wahlgang, die Koalition befinde sich in der Auflösung. "Das Haus brennt wirklich", so Stegner.

Auch Gregor Gysi sieht die ersten beiden Wahlgänge als "schwere Niederlage für die Regierung". In einem kurzen Pressestatement nach einer langen Beratung seiner Partei kündigte er an, die Kandidatin der Linken, Lukrezia Jochimsen, zurückzuziehen. Allerdings sei auch keiner der konservativen Kandidaten wählbar. Die meisten Wahlleute der Linken würden sich daher im dritten Wahlgang enthalten, allerdings sei die Abstimmung freigegeben.

"Noch nicht soweit" - Kritik an Linkspartei

Das Verhalten der Linkspartei sorgt bei Thierse für Empörung. Die Linkspartei werde nur durch den Hass auf die Sozialdemokraten zusammengehalten. Zudem würden die Linken Gauck hassen, dies sei ein dramatischer Rückfall der Partei in ihre SED-Geschichte. Dass diese Ablehnung aber auch daraus resultieren könnte, dass Gauck immer noch Schröders Sozialreformen anhängt, weil diese "den Sozialstaat bezahlbar" gehalten hätten , und sich Gauck vehement für den Afghanistaneinsatz ausspricht - Gaucks politische Ideen passen eher zur Union oder zur FDP denn zur Linken.

Sigmar Gabriel sagte, der heutige Tag hätte gezeigt, dass die Linken "noch nicht soweit seien". Andererseits könnte man die Kandidatenauswahl auch als Zeichen dafür sehen, dass SPD und Grüne sich bei ihrer Kandidatenauswahl im Zweifel eher an konservativen und wirtschaftsliberalen Ideen ausrichten. Die Kandidatur Gaucks wirkt als Bekenntnis zu einer rot-grünen Agendapolitik.

Wenn Werner Schulz (Grüne) die Haltung der Linken auf die Worte "Ihr hättet über euren SED-Schatten springen können!" verkürzt, reduziert er Joachim Gauck unzulässigerweise auf ein einziges Thema - das wird auch dem Kandidaten Gauck nicht gerecht.