Abmahnanwälte müssen reisen

Filesharing: Fliegender Gerichtsstand ist wohl auch für Altfälle Geschichte

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Seit dem 09.10.2013 ist der "fliegende Gerichtsstand" in Filesharingfällen nunmehr Geschichte. An diesem Tag trat das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken in Kraft und führte einen neuen § 104a UrhG ein. Bei Privatleuten, denen Urheberrechtsverletzung wie Filesharing unterstellt wird, ist nunmehr das Gericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk diese Person zur Zeit der Klageerhebung ihren Wohnsitz, in Ermangelung eines solchen ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Findige Anwälte hatten bislang die von der Rechtsprechung lange geduldeten Freiheiten ausgenutzt, sich bei Internetfällen ein genehmes Gericht auszusuchen, am besten am Kanzleisitz. Die Beendigung dieser absurden Rechtspraxis konnte praktisch nur durch den Gesetzgeber bewirkt werden, da Entscheidungen der ersten Instanz zur Zuständigkeit bindend sind. Für Neufälle ist diese absurde Rechtspraxis nunmehr Geschichte.

Das bedeutet aber auch, dass entsprechend spezialisierte Kanzleien nunmehr verstärkt Altfälle abarbeiten werden, zumal zum Jahresende bei vielen Abmahnsachen ohnehin die Verjährung droht. Nachdem die Gerichte lange dem fliegenden Gerichtsstand unkritisch gefolgt sind, haben in den letzten Monaten die Amtsgerichte in Köln, Frankfurt am Main, Hamburg, Bielefeld und München in Hinweisbeschlüssen ihre ablehnende Rechtsauffassung zur örtlichen Zuständigkeit bekundet. Auch einige Landgerichte haben in Urheberrechtssachen ihre Zuständigkeit ohne einen konkreten Sachbezug verneint. Sogar in Pressesachen wird inzwischen in Internetfällen ein Minimum an lokalem Bezug gefordert.

Nunmehr hat das Amtsgericht Hamburg mit einem bemerkenswert ausführlichen Hinweisbeschluss vom 19.09.2013 den Vielfliegern eine Absage erteilt. Süffisant bemerkte das Gericht:

Eine allgemeine Lebenserfahrung aber, dass in Hamburg fortdauernd und zu jeder Zeit illegale Downloads stattfinden und auch im konkreten Fall von Hamburg aus die von dem Beklagten womöglich angebotene Datei heruntergeladen worden ist, ist dem Gericht jedenfalls nicht bekannt. Indiziell gegen eine solche dürfte sprechen, dass beim Amtsgericht Hamburg im vergangenen Jahr mehrere tausend File-Sharing Fälle rechtshängig geworden sind, jedoch nur in ganz wenigen Ausnahmefällen Personen Beklagte waren, die ihren Wohnsitz in Hamburg oder Umgebung hatten.

Das Gericht begründete nicht nur die willkürliche Unanwendbarkeit des § 32 ZPO in Internetfällen, mit dem bislang Gerichte in Internetfällen zur Deutschlandreise baten, sondern wies auch auf die verfassungsrechtliche Dimension hin. So garantiert das Grundgesetz in Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG das Recht auf den gesetzlichen Richter, das durch die bisherige Auslegung von § 32 ZPO unterlaufen wird. So gehört es zu den Prozessgrundrechten, dass festgelegt ist, vor welchen Richter man treten muss. Dazu das AG Hamburg:

Das Prozessrecht wird im Hinblick auf die Festlegung des gesetzlichen Richters seiner grundsätzlichen Aufgabe nicht mehr gerecht, wenn es in der Weise ausgelegt wird, dass Amtsgerichte in allen Bundesländern der Republik örtlich zuständig sind. Eine solche Auslegung unterbindet nicht Manipulationen bei der Bestimmung des zuständigen Gerichtes, sondern — im Gegenteil — eröffnet sie.

Mit anderen Worten: Das Amtsgericht Hamburg hält das, was entsprechende Gerichte die ganzen Jahre über praktiziert haben, für verfassungswidrig. Künftig werden es die Abmahnanwälte sein, die sich auf die Reise begeben. Da die Streitwerte inzwischen gedeckelt sind, dürfte auch nur eine Bahnreise drin sein - auch für juristische Vielflieger.