Griechenland: "Arbeitslosigkeit bedeutet den Tod"

Aufgrund des Spardiktats der Troika fallen immer mehr Menschen aus der Krankenversicherung heraus. Bürgerinitiativen versuchen, das Schlimmste zu verhindern

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Die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds hat sich wieder einmal durchgesetzt. Griechenland soll, um die nächste Tranche des bereits zugesagten Kredits zu erhalten, bis zum Jahresende 15.000 öffentliche Angestellte entlassen, die Arbeitswoche von fünf auf sechs Tage verlängern, die Kündigungsfristen verkürzen, die Abfindungen bei Entlassungen halbieren, und das auch rückwirkend, und automatische dreijährliche Gehaltserhöhungen abschaffen. Der Troika-Kredit, die sogenannte Griechenlandhilfe, die in Wirklichkeit verzinst wird und keineswegs ein wohltätiger Zuschuss zum Staatshaushalt ist, dient übrigens, das sollte man sich immer wieder vergegenwärtigen, ganz überwiegend dazu, Griechenlands Gläubiger auszuzahlen.

Inzwischen addieren sich all die Einschnitte, Gehaltskürzungen und neuen Steuern zu einem Verelendungsprogramm. 78 Prozent der befragten Griechen gaben in einer kürzlich durchgeführten Meinungsumfrage an, von Armut bedroht zu sein.

Vermutlich am dramatischsten offenbart sich die humanitäre Katastrophe im Gesundheitssystem. Die im Sommer 2011 dem Land von der Troika auferlegten Kreditbedingungen verlangen unter anderem gestaffelte Kürzungen im Gesundheitssystem in Höhe von rund einem Prozent des gegenwärtigen Nationaleinkommens. Das führt nach einem Bericht der New York Times unter anderem dazu, dass inzwischen rund 600.000 der 1,2 Millionen Langzeitarbeitslosen nicht mehr versichert sind. Hochgerechnet auf deutsche Verhältnisse würde das bedeuten, dass rund fünf Millionen Menschen sich keine Krankenversicherung mehr leisten könnten.

Anders als vor der Krise sind die Konsequenzen für die Betroffenen heute fatal. Während sie bisher bis zu einem Jahr Arbeitslosenunterstützung bekamen und damit auch krankenversichert waren und selbst danach auch unversichert weiter versorgt wurden, stehen sie heute vor verschlossenen Türen. Im Extremfall führt das dazu, dass zum Beispiel Krebspatienten sich selbst überlassen werden. Die US-Zeitung schildert einige dramatische Fälle. "In Greece right now, to be unemployed means death", zitiert das Blatt einen Krebsfacharzt.

Netzwerk sozialer Ambulanzen

Mancher mag da nicht tatenlos zusehen. Im Land entsteht derzeit eine Netzwerk sozialer Ambulanzen, in denen Ärzte und andere Freiwillige jene versorgen, die keinen Zugang zum Gesundheitswesen mehr haben. Zehn derartige Zentren gibt es derzeit, weitere sind im Aufbau. Den Anfang machten drei derartige Initiativen bereits in den Jahren vor Ausbruch der Krise, um den zahlreichen Einwanderern und Flüchtlingen zu helfen, die, aufgrund der rigiden EU-Asylpolitik in Griechenland gestrandet, sich vollkommen selbst überlassen bleiben.

Eine der neu geschaffenen Einrichtungen ist das Städtische Soziale Gesundheitszentrum in Elliniko-Argyroupoli, einer Stadt im Großraum Athen, das seit September 2011 arbeitet. Auf einem ehemaligen US-Militärstützpunkt in frisch renovierten Gebäuden untergebracht, arbeiten dort in ihrer Freizeit 45 Ärzte, darunter zehn Psychologen, 15 Apotheker, weitere 20 Zahnärzte und 70 bis 80 nicht spezialisierte Freiwillige. Im Stadtrat gibt es eine linke Mehrheit, die für die Übernahme der Strom-, Wasser- und Telefonrechnung sorgt.

Medikamente, Impfstoffe für Kinder und auch Milch werden von Bürgern gespendet, teilweise auch aus dem Ausland. Die Milch wird an Familien verteilt. "Viele Kinder sind unterernährt", berichtet Yannis Maragos. Marogos ist Zahnarzt und bietet seine Dienste im Gesundheitszentrum kostenlos an. Patienten müssen nachweisen, dass sie nicht versichert sind.

Schwierigere Fälle werden an Krankenhäuser vermittelt. Dort kümmern sich einige Beschäftigte in unbezahlten Überstunden um die Fälle, die vom Zentrum geschickt werden. Den Besitzern der privaten Krankenhäuser ist das nicht immer recht, aber sie trauen sich nicht, die Ärzte und Schwestern davon abzuhalten. "Das ist eine Frage des Kräfteverhältnisses im Krankenhaus", so Marogos.

Aber es geht nicht darum, das öffentliche Gesundheitssystem zu ersetzen. "Zugang zur Gesundheitsversorgung ist ein allgemeines Recht, deshalb sollte jeder vom öffentlichen System versorgt werden", meint der engagierte Zahnarzt. Und weiter: "Wir verstehen unsere Arbeit auch als eine Form des Protestes gegen das, was im öffentlichen Gesundheitswesen vorgeht."