Wikileaks landet neuen Mediencoup mit den Iraq War Logs

Fast 400.000 Dokumente des US-Militärs wurden nun über das Internet über den Irak-Krieg zwischen 2004 und 2009 zugänglich gemacht

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Wikileaks hat die lange angekündigte Veröffentlichung von 391.000 Dokumenten über den Irak-Krieg aus den Jahren 2004 bis 2009 nun trotz mancher Drohungen aus dem Pentagon umgesetzt. Nachdem die Veröffentlichung der Afghanistan-Dokumente schon bereits als Mediencoup in Zusammenarbeit mit dem Guardian, der New York Times und dem Spiegel aufmerksamkeitsstrategisch gut vorbereitet worden war, konnten nun für die Iraq War Logs noch weitere Medien vor den Karren gespannt werden.

Stolz wird gepriesen, dass es sich um einen Rekord handelt, nämlich um die umfangreichste Veröffentlichung von militärischen Geheimdokumenten in der Geschichte. Wikileaks versucht, sich mit Superlativen, die vermutlich nicht lange durchzuhalten sind, in Szene zu setzen. Natürlich braucht so ein Unternehmen Geld von Spendern und Aufmerksamkeit, um an Material zu kommen und es aufzubereiten. Aber man erhält doch den Eindruck, dass Wikileaks sich als kommerzielles Unternehmen etablieren will, das versucht, möglichst spektakuläre Coups zu landen, was dann nur zu einer anderen Art von medialer Fokussierung und Ausblendung führen könnte.

Gleichwohl, Wikileaks demonstriert, dass Geheimnisse im digitalen Zeitalter, wenn Entschlossenheit und Findigkeit vorhanden ist, immer schwerer aufrechtzuerhalten sind. Undenkbar ohne digitale Medien und das Internet, dass solche gewaltigen Informationsberge in so schneller Zeit direkt für die Menschen weltweit zugänglich gemacht werden und damit das Funktionieren der militärischen Maschinerie im Irak sowie viele Details des "asymmetrischen Konflikts" offenlegen. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Rumsfeld hatte immer davor gewarnt, dass die Gegner im Irak und in Afghanistan die mediale Aufmerksamkeit besser steuern könnten und auf mehr Propaganda gesetzt. Jetzt wird die militärische Supermacht gewissermaßen von innen her unterwandert, ohne sich militärisch zur Wehr setzen zu können. Mordanschläge wie im Kalten Krieg oder der Einsatz von Drohnen, um Gegner zu verfolgen und zu töten, sind nicht praktikabel, da nun die Weltöffentlichkeit sehr genau beobachten wird, wie das Pentagon damit umgeht.

Fieberhaft dürften aber auch andere Militärs und Sicherheitsbehörden versuchen, möglichst alle Sicherheitslücken nur noch dichter zu machen. Man muss abwarten, ob nicht eine Solidarität der durch Transparenz und Gegenaufklärung bedrohten Akteure entsteht, die die Arbeit von Wikileaks - andere Organisationen werden folgen - auch möglichst nach internationalem Recht durch Androhung von Strafen zu vereiteln suchen.

So enthüllen die Dokumente, in denen Wikileaks angeblich alle Namen von Menschen unkenntlich gemacht hat, die zu Racheangriffen führen könnten, etwa Versuche des US-Militärs, dass in vielen Fällen Folter-, Vergewaltigungs- oder Mordvorwürfen gegen irakischen Sicherheitskräften nicht nachgegangen wurde, obgleich Einzelheiten bekannt und belegt waren. Damit werden Informationen bestätigt, die schon länger zirkulierten, aber nicht im Detail und in dem Ausmaß bekannt waren. Die irakische Regierung und deren Sicherheitskräfte wurden so gedeckt, um den Abzug der US-Soldaten nicht zu gefährden und nicht bekannt werden zu lassen, dass im befreiten Irak munter weiter gefoltert wird. Zudem machen die Dokumente deutlich, in welche Gewaltorgie der Irak nach dem Sturz von Hussein gestürzt ist, auf die die Invasoren in keiner Weise vorbereitet waren.

Natürlich hat das Pentagon die Zahl der Toten gezählt, auch wenn es immer abgestritten wurden. Vom US-Militär wurden zwischen 2004 und 2009 109.000 Getötete registriert, davon 66.000 Zivilisten. Sonderlich zuverlässig dürften die Zahlen allerdings nicht sein. So gibt es keine Zahlen von getöteten Zivilisten bei den Kämpfen um Falludscha, was den Schluss nahelegt, dass man versuchte, die eigenen Aktionen besser darzustellen. Der Spiegel hat bereits versucht, einen Überblick zu geben und einige Dokumente vorzustellen. Geplant ist eine Serie von Artikeln, um einzelne Themen anhand der Dokumente darzustellen.