Geheimstufe rot

Bremer Senat behandelt Ausnahmeanträge zum Umschlag von Kernbrennstoffen in den Bremischen Häfen unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und der Bürgerschaft

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Am 22. Oktober 2012 gingen beim Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen der Hansestadt Bremen, Martin Günthner (SPD), vier Ausnahmeanträge zum Umschlag von Kernbrennstoffen in den Bremischen Häfen (Bremen und Bremerhaven) ein. Die Brennelementfabrik Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) aus Lingen und die Transportfirma Nuclear Cargo + Service GmbH (NCS) aus Hanau hatten Gleiss Lutz Hootz Hirsch, und damit eigenen Angaben zufolge eine der profiliertesten international tätigen Anwaltskanzleien, beauftragt, die Anträge an den Bremer Senat zu stellen.

Die Angelegenheit wurde diskret behandelt, so diskret, dass nicht einmal die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft darüber informiert wurden. Ganz so geheim blieben sie dann allerdings doch nicht: Die //www.nadir.org/nadir/initiativ/maus-bremen/: Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (MAUS) Bremen gelangte Ende letzter Woche an die Geheimunterlagen und machte sie jetzt der Öffentlichkeit zugänglich.

Hintergrund dieser Geheimniskrämerei ist das Bremische Hafenbetriebsgesetz, in das Anfang 2012 in §2 Absatz 3 Satz 1 die Teilentwidmung der Bremischen Häfen für Kernbrennstofftransporte aufgenommen wurde – also diejenigen, die einer Genehmigung durch das Amt für Strahlenschutz bedürfen. In diese Kategorie fallen laut MAUS etwa 20% aller Atomtransporte über die Bremischen Häfen – eben auch die Güter, die den Anträge von ANF und NCS zufolge umgeschlagen werden sollen. Dabei handelt es sich u.a. um mit Uran angereicherte unbestrahlte Brennelemente.

Die CDU Bremen klagt gegen die Anfang 2012 in das Hafengesetz aufgenommene Verbotsklausel vor dem Bremer Staatsgericht. Die Europäischen Union (EU) überprüft, ob "ein solches Umschlagverbot einen Verstoß gegen Vorschriften des Kapitels 9 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) Vertrag darstellt. Der Euratom-Vertrag sieht in Artikel 93 vor, dass Mitgliedstaaten untereinander alle mengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr beseitigen." Im September 2012 legte der Bremer Senat externe Stellungnahmen vor, mit denen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme belegt wurden. Laut MAUS waren die Expertisen der Bundesregierung und der Bremischen Regierung der EU nicht weitreichend genug, daher fordert sie nun eine weitere Stellungnahme. Diese unterliegen der Geheimhaltung, so dass zur Anfrage der EU zum jetzigen Zeitpunkt nichts weiter bekannt ist.

Allerdings bietet die Verbotsklausel Ausnahmemöglichkeiten, über die der Senat unabhängig, intransparent und im Geheimen entscheiden kann. Und genau diese Möglichkeit versuchen ANF und NCS auszunutzen. Kämen sie mit ihrem Ansinnen durch, wäre die im Bremischen Hafengesetz festgelegte Teilentwidmung ad absurdum geführt und weiteren Kernbrennstofftransporten Tür und Tor geöffnet.

Norddeutschland ist eine wichtige Drehscheibe im internationalen Atomgeschäft

Über die Stadtgebiete und Häfen von Hamburg und Bremen werden eine Vielzahl von Atomtransporten abgewickelt: Etwa alle 1,5 Tage einer durch Hamburg, alle 2 Tage einer durch Bremen. Uranoxide, das extrem giftige Uranhexafluorid, unbestrahlte und bestrahlte Brennelemente oder andere Produkte im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomtechnologie werden in den Häfen umgeschlagen und/oder durch das Stadtgebiet transportiert. Empfänger und Absender des atomaren Materials sind Orte in der ganzen Welt, u.a. Belgien, Schweiz, Niederlande, Schweden, Großbritannien, Norwegen, Frankreich, Spanien, Kanada, USA, Argentinien, Australien, Süd-Korea, Russland, Kasachstan, Namibia, Brasilien, Süd-Afrika, Finnland. Das Atomgeschäft ist ein extrem gut florierender weltweiter Handel.

"Atomtransporte sind die Achillesverse der Atomindustrie. Ohne sie gibt es keine Atomwirtschaft und keinen Handel mit diesen gefährlichen Gütern", betont Fritz Storim von der MAUS gegenüber Telepolis. "In diesem Zusammenhang weisen wir auch noch einmal auf das Volksbegehren zur Änderung des Bremischen Hafenbetriebsgesetzes für eine Sperrung der Bremischen Häfen für alle radioaktiven Stoffe hin. Durch die aktuellen Anträge für Ausnahmegenehmigungen gewinnt dieses noch einmal mehr an Bedeutung, wenn es um eine wirkliche, aktive und effektive Sperrung der Bremischen Häfen für Atomtransporte über ein Gesetzgebungsverfahren gehen soll."