Wo bleiben die Stimmen der Moslems in der Beschneidungsdebatte?

Die Aufruferliste zu einer für kommenden Sonntag geplanten Demonstration gegen ein Beschneidungsverbot zeigt, dass moslemische Stimmen wenig beachtet und auch schnell mal ausgeschlossen werden

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Ein auf den ersten Blick wahrhaft ökumenisches Netzwerk will am kommenden Sonntag in Berlin gegen ein Beschneidungsverbot demonstrieren. Der Diözesenrat der Katholiken gehört ebenso zu den Unterstützern wie die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Ansonsten dominieren jüdische Organisationen die Unterstützerliste. Von säkularer Seite unterstützt die Organisation Honestly concerned die Demonstration. Sie hat sich bisher als israelsolidarische Organisation scharf gegen islamistische Bestrebungen gewandt aller Art gewandt.

Daher war es umso erstaunlicher, als ein Blogger reißerisch vermeldete, dass die Hamas auf der Beschneidungsdemonstration mitlaufe. Tatsächlich geht es um das Islamische Kultur- und Erziehungszentrum Berlin e.V., dem im Verfassungsschutzbericht nachgesagt wird, ein Treffpunkt von Hamas-Anhängern zu sein. Abgesehen von der Problematik, den Verfassungsschutzbericht zum Maßstab der Beurteilung einer Organisation zu machen, klingt deren Beurteilung schon wesentlich unaufgeregter als die Überschrift auf dem Blog der rechtsliberalen Ruhrbarone, die mit der Präsentation von Fotos schwerbewaffneter, vermummter Islamisten neben den Beitrag die Grenze zum Ressentiment deutlich überschritten haben.

Unabhängig davon ist es fraglich, ob es so klug von den Demoorganisatoren war, den umstrittenen islamischen Kulturverein sofort von der Aufruferliste zu streichen. Es wäre doch besser gewesen, zuvor einige Fragen zumindest einmal zu stellen. Wie kann es eine der Hamas nahestehende Organisation mit ihrer Ideologie vereinbaren, nicht nur mit jüdischen sondern auch mit explizit proisraelischen Organisationen zu der Demonstration gegen Beschneidung aufzurufen? Daraus könnten sich zwei Schlussfolgerungen ergeben. Entweder die Nähe zur Hamas ist längst nicht so eng, wie die Blogger suggerieren, oder das islamistische Spektrum befleißigt sich einer recht flexiblen Bündnispolitik auch im Kernbereich ihrer Politik. Schließlich muss der Verein eine solche Kooperation auch vor dem eigenen Umfeld rechtfertigen. Wenn er die Unterstützung ernstgemeint hat, hätte wohl in Deutschland am Sonntag erstmals eine islamistische Organisation auf einer Demonstration gemeinsam mit proisraelischen Initiativen teilgenommen und der Streit um Israel wäre ausgespart geblieben, was natürlich im Vorfeld hätte abgeklärt werden müssen.

Gerade solch eine Kooperation unter Absehung des Nahostthemas hätte vielleicht dem in der letzten Zeit vielbeklagten Antisemitismus in islamistischen Milieus deutscher Großstädte entgegentreten können. Natürlich gibt es dafür keine Garantie, aber eine solche mögliche Entwicklung wurde schon im Vorfeld durch reißerische Berichte, den Link auf einen Absatz aus dem Verfassungsschutzbericht und die nachfolgende Streichung der Gruppe von der Aufruferliste verhindert. Natürlich ist von einem säkularen Standpunkt ein solches Bündnis auf religiöser Grundlage keineswegs unproblematisch, wie die zumindest informelle Zusammenarbeit jüdischer und islamischer Gruppen gegen Schwulen- und Lesbenparaden in Israel zeigt.

Warum werden islamische Stimmen zur Beschneidung kaum beachtet?

Bei den Beschneidungsdebatten der letzten Wochen fällt wiederum ein Ungleichgewicht auf, das sich in der Aufruferliste zur Demo gut widerspiegelt. Während die Reaktionen aus den jüdischen Gemeinden in der Öffentlichkeit breit rezipiert werden und teilweise mit Verständnis, teilweise auch mit von Antisemitismus durchsetzen Ressentiments begegnet werden, finden Stimmen und Stellungnahmen aus den islamischen Gemeinden medial weit weniger Beachtung. Selbst in der Wochenzeitung Jungle World, auf deren Diskoseiten in den letzten Wochen die wohl gründlichste Debatte über die Beschneidung und die verschiedenen Facetten zu lesen war, wurde oft nur mit wenigen Sätzen darauf hingewiesen, dass Menschen moslemischen Glaubens gleichfalls von einer Einschränkung oder einem Verbot der Beschneidung betroffen wären.

Dass diese Tatsache öffentlich kaum wahrgenommen wird, könnte das Dementi eines höchst umstrittenen Satzes des Kurzzeitpräsidenten Christian Wulff sein, demzufolge der Islam zu Deutschland gehört. Sein Nachfolger Gauck hat mittlerweile formuliert, dass die hier lebenden Moslems zu Deutschland gehören. Wenn man die Debatte um die Beschneidung verfolgt, kommen auch sie kaum vor.