"War is not a Game!"

Die Rekrutierungsmethoden der US-Armee geraten zunehmend in die Kritik. Die Keimzelle des Widerstands bildet ein High-Tech-Spielecenter in Philadelphia.

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Am vergangenen Freitag, dem 27. November, versammelten sich ungefähr 20 Antikriegsaktivisten in der Franklin Mills Mall in Philadelphia, um gegen das dort stationierte Army Experience Center zu demonstrieren. Die Pilot-Einrichtung wirbt dort mit Hilfe des Computerspiels America's Army um neue Rekruten und erzeugt insbesondere unter Jugendlichen Interesse. Die Demonstranten verlangten die Einstellung dieser Art von Werbung und forderten die Einkaufenden dazu auf, das Zentrum zu boykottieren, bis das "Army Experience Center" geschlossen werde.

In dem Einkaufszentrum war es bereits zuvor zu Protestaktionen gekommen. Im Mai wurden sieben Demonstranten bei einem Protestmarsch gegen das "Army Experience Center" verhaftet. Im September liefen sie erneut auf und forderten auf Transparenten: "Hört auf, unsere Steuergelder für Kriegspornografie zu verwenden". "Das 'Army Experience Center' ist ein schamloser Versuch, die Vorstellung und das Bewusstsein junger Menschen zu militarisieren", sagte Robert Moore am Rande der Proteste. Er ist Vorsitzender der Koalition für Friedensmaßnahmen, einer der beteiligten Organisationen. "Kinder im Alter von 13 Jahren gehen da hinein, können Maschinenpistolen halten und auf Militärjeeps klettern."

Und: Sie können spielen. Der von der US-Armee entwickelte taktische 3D-Shooter "America's Army", wurde erstmals 2002 veröffentlicht, bei Rekrutierungsveranstaltungen verteilt und kostenlos zum Download im Internet angeboten. Er ist Teil einer strategischen, milliardenschweren Neuausrichtung der Armeewerbung. Nachdem 1999 die Rekrutenzahlen den niedrigsten Stand seit dreißig Jahren erreicht hatten, begann die US-Armee, an einem eigenen Computerspiel zu arbeiten, das die Zielgruppe dort abholt, wo sie sich befindet: vor dem Monitor. Das Pentagon stattete das MOVES Institute der Naval Postgraduate School für die Entwicklung des Spiels mit einem jährlichen Millionenetat aus. Nach der PC-Version folgten in Zusammenarbeit mit Spielefirmen Umsetzungen für Spielekonsolen und mobile Endgeräte. Die Spielergebnisse der registrierten User können von der Armee verwendet werden, um ihre Fertigkeiten einzuschätzen, und die Spieler gelangen bei Bedarf per Klick direkt zur Rekrutierungsseite der Armee im Internet. Das Konzept wurde in den USA durch die Roadshow Virtual Army Experience flankiert, eine mit Trucks herbeigeschaffte 1.800 Quadratmeter große Spielumgebung, die 18 Monate lang quer durch die USA tourte.

"America’s Army" geriet bereits frühzeitig in die Kritik - weniger wegen seiner Gewaltdarstellung, sondern insbesondere wegen der stereotypen Darbietung von Spielgegnern und weil Eltern die negative Beeinflussung ihrer Kinder fürchteten.

Die Proteste in Philadelphia sind Teil einer breiteren Bewegung gegen die Militarisierung der jugendlichen Zivilbevölkerung: Im März forderte der US-Kongressabgeordnete Dennis Kucinich die Einstellung der Finanzierung des "Virtual Army Experience" - vor allem, weil es bereits 13-Jährigen eine naive und unrealistische Sicht auf das Soldatenleben vermittle. Die Spieleschmiede Ubisoft, die an der Umsetzung von "America's Army" für Spielekonsolen beteiligt ist, war bereits im vergangenen Jahr das Ziel von Protestaktionen geworden. Ebenso hatten sich Kriegsveteranen nur durch die Zusicherung der Veranstalter des "Virtual Army Experience" von Protestaktionen abhalten lassen, Personen erst ab 17 Jahren auf das Gelände zu lassen.

Die Investitionen der Armee haben sich derweil überaus bezahlt gemacht: Mit rund 10 Millionen registrierten Usern und über 40 Millionen Downloads ist "America's Army" eins der erfolgreichsten Spiele seiner Art. Die Website goarmy.com, auf die im Spiel verwiesen wird, ist in der Rekrutierung von Soldaten effektiver als jede andere Methode des Kontakts, wie Armeesprecher bereits im Jahr 2000 während einer Anhörung vor dem US-Kongress erklärten. Zudem gewannen laut einer Studie des Massachussetts Institute of Technology (MIT) aus dem Jahr 2008 30 Prozent aller Amerikaner zwischen 16 und 24 Jahren aufgrund des Spiels einen positiveren Eindruck von der Armee, und das Spiel hatte größeren Einfluss auf sie als sämtliche anderen Werbeformen der US-Armee zusammen.

"America's Army" trägt in den USA die Altersfreigabe "Rated T" - ab 13 Jahren - die jedoch nicht verbindlich ist und lediglich eine Empfehlung darstellt.