"Kleine Eiszeit" durch Bevölkerungsschwund in Amerika?

Der Geochemiker Richard Nevle sieht im Regenwaldwachstum nach der Conquista einen möglichen Grund für die häufigen Missernten, die Europa zwischen 1550 und 1850 verbuchte

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Im 15. und 16. Jahrhundert erkundeten und eroberten Europäer Amerika. Die Eroberung gelang auch deshalb so schnell, weil sie Keime mit sich brachten, gegen die die indigene Bevölkerung häufig deutlich weniger Resistenzen aufwies als die Überträger. Schätzungen gehen davon aus, dass während der Conquista bis zu 90 Prozent der 40 bis 80 Millionen Indianer starben - vor allem in Südamerika, wo es große Siedlungen entlang der Flüsse gab, deren Überreste man erst im 20. Jahrhundert ausgrub.

In diesen Gegenden breitete sich nach der demographischen Katastrophe rasch Regenwald aus, in dessen hohen Bäumen deutlich mehr Kohlendioxid gespeichert wurde als in den Pflanzungen der Bodenbauer. Richard Nevle, ein Geochemiker, der an der renommierten kalifornischen Stanford-Universität lehrt, will mit dieser Zunahme an Regenwald die "Kleine Eiszeit" miterklären, die die Erde zwischen 1550 und 1850 heimsuchte und vor allem in Europa für zahlreiche Missernten sorgte.

Bisher wird diese Kleine Eiszeit unter anderem mit einem Rückgang der Sonnenaktivität, einer Verdunkelung durch Vulkanausbrüche und Veränderungen in Meeresströmungen erklärt. Nevle geht davon aus, dass durch die natürliche Wiederaufforstung zwischen 2 und 17 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gebunden wurden, was seiner Ansicht nach ausgereicht haben könnte, um den Rückgang des Kohlendioxidanteils um sechs bis zehn Teile pro Million zu erklären, der sich zwischen 1525 und 1600 in eingefrorenen Luftblasen im Antarktiseis feststellen lässt. Dieser Rückgang des Kohlendioxidanteils könnte Nevle zufolge den Treibhauseffekt spürbar vermindert und damit maßgeblich zur Abkühlung der Erde beigetragen haben.

Niederländische Wissenschaftler hatten bereits 2006 darüber spekuliert, ob eine Verwaldung infolge der Pestausbrüche in Europa zu einer Abkühlung der Erde führte. Allerdings ist umstritten, inwieweit die Kleine Eiszeit tatsächlich ein globales und kein auf die nördliche Hemisphäre begrenztes Phänomen war. Zudem gab es zwischen 1550 und 1850 auch längere wärmere Abschnitte, die mit der Verwaldungstheorie nur bedingt erklärbar sind.