Regierungsnahe Juristen planen Teilentmachtung des Bundesverfassungsgerichts

Fälle mit Europabezug sollen künftig erst zum EuGH gehen

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Im Juni setzte das Bundesverfassungsgericht dem Lissabon-Vertrag Leitplanken und stellte klar, dass es auch nach seinem Inkrafttreten über europäische Entscheidungen wachen will, wobei das Grundgesetz (das sich teilweise deutlich von der Europäischen Grundrechtecharta unterscheidet) weiterhin maßgebliche Schutzvorschrift sein soll.

Nun ist eine Denkschrift aufgetaucht, in der 30 Juristen fordern, Rechtswege zu verändern und so die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts einzuschränken. Unter den Unterzeichnern des Dokuments finden sich auch Ingolf Pernice und Franz Mayer, die den Lissabon-Vertrag in Karlsruhe als Bevollmächtigte verteidigen sollten.

Als Grund für die angebliche Notwendigkeit entsprechender Gesetzesänderungen nennen die Juristen einen wahrscheinlichen "Justizkonflikt mit dem EuGH", auf den das Bundesverfassungsgericht "zusteuert" und das darin enthaltene Risiko von "einschneidenden Finanzsanktionen", die der Bundesregierung "dauerhaft" drohen würden, wenn Karlsruhe EU-Regelungen als grundgesetzwidrig erkennt und deren Umsetzung einschränkt. Deshalb müssten die Verfassungsrichter gezwungen werden, Verfahren mit Europabezug vor einem eigenen Urteil dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Entscheidung zuzuleiten.

Dieses in Luxemburg angesiedelte Gericht hat unter Juristen nicht den besten Ruf: Seine Richter werden von den Regierungen der Mitgliedsstaaten nominiert und haben durch eine relativ kurze, aber verlängerbare Amtszeit und ein fürstliches Gehalt starke Anreize, Entscheidungen im Sinne dieser Regierungen zu fällen. Diese Anreize schlagen sich auch statistisch nieder: In gut 50 Jahren seines Bestehens gewährte der EuGH bisher noch kein einziges Mal Grundrechtsschutz gegen einen europäischen Rechtsetzungsakt.

Eine einfachere, geeignetere und angemessenere Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass die Bundesregierung im Europäischen Rat verfassungswidrige Beschlüsse verhindert oder auf europäischer Ebene entsprechende Ausnahmen für Strafzahlungen schafft. Auf diese Möglichkeiten geht das Papier allerdings nicht ein.