Ist Frieden mit Assad noch möglich?

Ein Aufruf zur Unterstützung der syrischen Zivilgesellschaft sorgt für Debatten

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Der syrische Bürgerkrieg ist aus den Schlagzeilen unserer Medien verschwunden. Mittlerweile sind die Meldungen über Bombenanschlägen und ermordete Aktivisten in dem Land so alltäglich geworden, dass sie keinen prioritären Nachrichtenwert mehr haben. Da erinnert ein Aufruf des Bündnisses Adopt a Revolution daran, dass der Aufstand in Syrien einmal im Kontext der "Arabellion" Hoffnungen auf eine emanzipierende Entwicklung für die Menschen in dem Land geweckt hat. Unter dem Motto "Freiheit braucht Beistand" wird dort noch einmal der vielzitierte arabische Frühling beschworen, der auch in Tunesien, Ägypten und Jemen in erster Linie ein Elitentausch gewesen ist.

Vom arabischen Frühling zum islamistischen Herbst

In dem aktuellen Aufruf wird die Entwicklung vom arabischen Frühling zum aktuellen islamistischen Herbst kritisch reflektiert:

"Vor anderthalb Jahren hat eine junge Generation in Syrien ihren Willen zur Freiheit erklärt. Für diese mutigen Frauen und Männer gibt es keinen Weg zurück in die alte Republik der Angst. Unbewaffnete lokale Bürgerkomitees, kurdische Initiativen, Studentengruppen, aber auch palästinensische Jugendliche verweigern sich der militärischen Logik der Zerstörung und verteidigen den demokratischen Aufbruch. Sie helfen nicht nur Verwundeten und Ausgebombten, sondern verteidigen auch die Interkonfessionalität der syrischen Demokratiebewegung gegen die religiöse Hetze des Regimes wie gegen die immer stärker werdenden radikal-islamischen Tendenzen innerhalb der Freien Syrischen Armee und protestieren gegen tagtägliche Menschenrechtsverletzungen."

Es wird aber gegen eine Haltung argumentiert, die in der aktuellen Entwicklung der aktuell mit vielen Projektionen befrachteten Arabellion nur wieder die Erkenntnis mitnimmt, dass sich sowieso nichts ändert und daher jede Parteinahme sinnlos ist. Doch dieser Aufruf wurde wie die Aktivitäten von Adopt a Revolution generell in Kreisen der traditionellen Linken mit Argwohn und offener Kritik begegnet.

Kein Aufruf zur Friedhofsruhe?

Unter den bezeichnenden Titel "Kein Aufruf zum Frieden" moniert der Publizist Joachim Guilliard, in dem Aufruf fehle eine Distanzierung von der Stationierung deutscher Patriot-Raketen, ohne zu bedenken, dass Aufrufe immer knapp zusammengefasste Minimalerklärungen sind, die auf einen großen Unterstützerkreis zielen. Daher könnte man auch positiv anmerken, dass kein positiver Bezug auf die Patriot-Raketen erfolge, die Frage also ausgeblendet wurde.

Gravierender scheint Guilliards Vorwurfs, in dem Aufruf werde nicht für Verhandlungen mit dem Assad-Regime plädiert und so in den Augen des Kritikers "unbeirrt am Ziel des Umsturzes festgehalten". Zudem wird eine mangelnde Trennschärfe zwischen zivilgesellschaftlicher und bewaffneter Opposition moniert. "Selbstverständlich suchen die Initiatoren des Aufrufs nur für unbewaffnete Gruppen Unterstützung. Wenigen Unterzeichnern dürfte jedoch bekannt sein, wie eng deren Verbindungen zu bewaffneten Aufständischen meist sind", so Guilliard.

Tatsächlich hat sich mit dem Sänger Konstantin Wecker ein prominenter Unterstützer mittlerweile von dem Aufruf distanziert und seine Unterschrift zurückgezogen. In einer Mitteilung an seine politischen Fans heißt es:

"Liebe Freunde, von Freunden der Friedensbewegung wurde ich auf eine Aussage von Ferhad Ahma, Beiratsmitglied und einer der Hauptinitiatoren von Adopt a Revolution hingewiesen. Herr Ahma hat am 03.12. im DLF gesagt: 'Ich glaube, um schnellstmöglich einen Sturz des Regimes herbeizuführen, brauchen die Rebellen nach wie vor effiziente und bessere Waffen. Ansonsten wird dieser Kampf sich noch in die Länge ziehen.' Unter diesen Umständen muss ich meine Unterschrift unter den Syrien-Appell zurückziehen. Das verstehe ich nicht unter einer zivilen Demokratisierung. Im Vordergrund für alle sollte die Dialogbereitschaft stehen."

Damit übernimmt Wecker den Friedensbegriff, den Guilliard bereits gegen den Aufruf von Adopt a Revolution in Anschlag gebracht hat. Frieden heißt hier vor allem Dialog mit dem Machthabern und Verzicht auf radikale Opposition. Denn die zwinge die Machthaber zum harten Zurückschlagen und die Gewalt nimmt kein Ende. In dieser Lesart wird ein Aufruf zum Frieden schnell zur Aufforderung zur Friedhofsruhe, die den Machthabern nutzt.

So erinnert der gesamte Gestus von Guilliards Kritik an die Erklärungen kemalistischer Gruppen in der Türkei, die den zivilen kurdischen und türkischen Oppositionellen eine Nähe zur bewaffneten Guerilla vorwerfen und damit Repressalien gegen Gewerkschafter, Menschenrechtler und auch gewählten linken Parlamentariern rechtfertigen.

Problem des VIP-Unterschriftensammelns

Die Debatte macht aber auch deutlich, wie fraglich das in der Protestbewegung allgemein beliebte Unterschriftensammeln bei Prominenten ist. Da dürfte vor allem im Internetzeitalter täglich einlaufenden Appellen, Resolutionen und Offenen Briefen manchmal die Zeit zur genauen Lektüre fehlen. Oder wie lässt sich sonst erklären, dass nicht nur Konstantin Wecker seine Unterschrift unter einem Appell zu Syrien zurückgezogen hat?

Auch der deutsch-französische Publizist und Soziologe Alfred Grosser hat mittlerweile seine Unterschrift unter einen Offenen Brief der Vereinigung Schriftsteller für den Frieden zurückgezogen, weil er ihm eine Passage am Ende des Schreibens, in dem den syrischen Machthaber die Folgen seines Nichtrücktritts ausgemalt wurde, zu "naturalistisch" war. Wahrscheinlich hatte er sich vor der Unterschrift nicht die Zeit genommen, den zweiseitigen Brief bis zum Schluss zu lesen. Auf welche Weise der syrische Herrscher den Brief erhalten sollte und ob er von ihm und der Distanzierung Kenntnis genommen hat, ist nicht bekannt.