Briefeschreiber droht Verlust des Führerscheins

Ein 47-jähriger Mann sucht auf eigenwillige Weise den Schlagabtausch mit einer bayerischen Behörde – und schon steht die Psychiatrisierung ins Haus

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein 47-jähriger Mann erklärt dem Münchner Kreisverwaltungsreferat (KVR), dass Deutschland kein souveräner Staat sei und beantragt daher die bayerische Staatsbürgerschaft. Die Behörde will der Argumentation des Mannes nicht folgen und es kommt zu einem intensiven Briefwechsel zwischen Behörde und dem Bayer. Das KVR zweifelt schnell an der geistigen Gesundheit des promovierten Psychologen und fährt ein schweres Geschütz auf: Die Führerscheinstelle wird eingeschaltet und schon wird dem Mann mitgeteilt, dass er sich auf psychische und geistige Störungen untersuchen lassen muss. Mit anderen Worten: Eine eigenwillige Auseinandersetzung mit einer Behörde kann zum Verlust des Führerscheins führen.

Der Fall, über den die Süddeutschen Zeitung ausführlich berichtet, wirft erneut die Frage auf, ob mitunter Behörden versuchen, für sie unbequeme Bürger mit Hilfe der Psychiatrie kaltzustellen oder zu schikanieren.

Längst hat der Fall Gustl Mollath, in dem ein Mann aufgrund eines fragwürdigen Zusammenspiels zwischen Psychiatrie und Gerichten über 7 Jahre in diversen forensischen Psychiatrien verbringen musste, die Diskussion um die vorschnelle Psychiatrisierung von Bürgern entfacht. Und mit einer zunehmenden Sensibilität für das Thema, auch in den Medien, kommen nun so manche Fälle ans Licht der Öffentlichkeit.

Der 47-Jährige, dem nun der Verlust des Führerscheins droht, will der Anordnung der Führerscheinstelle nicht nachkommen, er will die Behörden stellen, argumentativ, mit Schreiben, Gesetzestexten usw.

Schließlich geht er in der Hierarchie nach oben: Er schreibt Briefe an den Innenminister, den Ministerpräsidenten, den Oberbürgermeister und auch an den Leiter der KVR.

Der Innenminister, so berichtet die Süddeutsche Zeitung, hat den Beschwerdebrief des Mannes an die Regierung von Oberbayern weitergeleitet. Und von dort gibt es plötzlich ein Einlenken. Die SZ beschreibt den Verlauf so:

'Der grundsätzliche Sachverhalt', schreibt die Regierung, sei zwar 'durchaus geeignet', Zweifel an Müllers 'Fahreignung' zu begründen, weil er offenbar die Existenz der Bundesrepublik und deren Gesetzgebung verneine und deshalb womöglich auch die Straßenverkehrsordnung ignoriere. Dennoch empfehle man der Stadt, die Sache gut sein zu lassen. Schließlich sei Müller im Straßenverkehr noch nie auffällig geworden, und außerdem sei das amtliche Vorgehen eine Ermessensentscheidung.

Und damit war die psychologische Untersuchung des Mannes vom Tisch. Er darf seinen Führerschein behalten. Er hatte offensichtlich Glück.

Dass dieses Vorgehen jedoch kein Einzelfall ist, davon weiß Arnold Torhorst, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der sich auch im Fall Mollath zu Wort gemeldet hat, zu berichten:

Wenn ein psychisch erkrankter Mensch mit Hilfe der Polizei wegen eines häuslichen Streits, der in Folge einer psychischen Ausnahmesituation eskaliert war, in ein Psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wird, erfolgt automatisch eine Meldung an die Führerscheinstelle – auf Bundesebene soll es angeblich eine entsprechende Anweisung geben. Inzwischen scheint die Rechtslage zu sein, dass dann automatisch die Führerscheinstelle das zuständige Landratsamt informiert. Das hat zur Folge, dass der Betroffene gezwungen wird, auf eigene Kosten in Höhe von circa 500 Euro über eine erzwungene Begutachtung durch zum Beispiel den TÜV nachzuweisen, dass er in der Lage ist, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Und das, obwohl kein Fehlverhalten im Straßenverkehr stattgefunden hat. Das Landratsamt versteckt sich hinter der Anweisung der zuständigen regionalen Regierung, die sich wiederum hinter dem Gesetzgeber und dessen sehr rigiden Vorschriften versteckt. Man könnte das als die »Sucht nach Unschuld« bezeichnen: dass man um Gottes Willen nichts tut im Rahmen der Gestaltungsfreiheit, das einem später als ein bürokratisches Versäumnis vorgehalten werden könnte.

Entnommen aus dem am 12. November erscheinenden Buch Staatsversagen auf höchster Ebene – Was sich nach dem Fall Mollath ändern muss.