Auf der Anklagebank für Umweltkatastrophe fehlten Verantwortliche

Alle Angeklagten für die riesige Ölpest in Spanien wurden im Prestige-Prozess freigesprochen, was viele im Land empört

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Es war kein Zufall, dass genau am 13. November das Urteil über die größte spanische Umweltkatastrophe gesprochen wurde. Genau vor elf Jahren geriet hier direkt vor der Küste Galiciens der Öltanker Prestige in Seenot. Er zerbrach, nachdem er lange sechs Tage 170 Seemeilen auf das Meer hinausgeschleppt worden war und das führte dazu, dass das giftige Rohöl über Strömungen bis weit nach Frankreich und Portugal verteilt wurde und für die größte Umweltkatastrophe sorgte. 63.000 der 77.000 Tonnen der giftigen Fracht liefen aus, der in Richtung Singapur unterwegs war. Das, was in Europa als Sondermüll hätte entsorgt werden müssen, verseuchte die Atlantikküsten über 2.900 Kilometer.

Doch das Gericht sprach am Mittwoch die drei Angeklagten frei. Es gibt nun auch keinen Verantwortlichen für den Schaden in einer Höhe von 4,3 Milliarden Euro. Dass das Gericht im kleinen Provinzgericht im Städtchen Corcubión mit seinen knapp 2.000 Einwohnern mit dem komplexen Fall überfordert war, zeigt sich für die Beobachter schon daran, dass es 10 lange Jahre brauchte, um mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Hier werden sonst Ehe- oder Nachbarschaftsstreitigkeiten verhandelt. Angeklagt waren ohnehin nur der 79 jährige griechische Kapitän Apostolos Mangouras und der Chefmaschinist Argyropoulos Nikolaossowie ( Die vergessene Ölpest). Nur ein Spanier saß auf der Anklagebank, der ehemalige Chef der Handelsmarine, José Luis Lopez Sors. Gefordert hatte die Staatsanwaltschaft Haftstrafen zwischen zwölf und fünf Jahren Haft wegen Umweltverbrechen.

Politiker mussten sich nicht verantworten, die die Entscheidung trafen, das havarierte Schiff auf das Meer zu ziehen. Experten bewerteten dies als fatale Fehlentscheidung. Ihrer Ansicht nach hätte es die wenigen Meilen in den Hafen von A Coruña geschleppt und ausgepumpt werden müssen. Kein Eigentümer des altersschwachen Tankers oder Verantwortlicher der Reederei wurde angeklagt. Als die Verhandlung im Juli abgeschlossen wurde, brachte es den vorsitzenden Richter Juan Luis Pía zu dem Ausspruch: "Es ist offensichtlich, dass auf der Anklagebank Leute fehlen."

Den Angeklagten konnte keine Schuld nachgewiesen werden. Pía stellte die "Unmöglichkeit" fest, die "Verantwortung zuzuweisen". Er sieht es als erwiesen an, dass der Tanker strukturelle Probleme hatte, die aber nach dem Untergang niemand präzisieren könne. Die Instandhaltung sei "unzureichend" und der Zustand "schlecht" gewesen. Man hätte versucht, erklärte er mit Bezug auf Lopez-Sors, den Schaden zu begrenzen, segnete er die Entscheidung ab, das Schiff "aus Umweltschutzgründen" nicht in die Bucht zu schleppen.

Mit dessen Freispruch ist der spanische Staat von jeder Haftung für Schäden befreit. Pía urteilte: "Niemand kann mit Exaktheit die Ursache noch die richtige Antwort darauf bestimmen." Nur der Kapitän wurde in einer Nebensache wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer Haftstrafe von neun Monaten verurteilt. Er hatte sich geweigert, dass Schiff von Schleppern aufs Meer ziehen zu lassen.

Viele Galizier sind empört, auch wenn die damals entstandene Umweltbewegung "Nunca Mais" (Nie wieder) kaum noch ein anderes Urteil erwartet hatte. Sie kritisierte stets, dass dieses komplexe Verfahren extra an das Lokalgericht verwiesen wurde, um die Aufklärung zu erschweren. Auch heute hatte die Bürgerbewegung, wie an jedem Jahrestag, gegen die "Straflosigkeit" protestiert. Ihr Anwalt Pedro Trepart zeigte sich "gelinde gesagt verblüfft" über das Urteil. Es lege es sogar nahe, dass es Fehlentscheidungen gab, sagte er. Nun blieben die Geschädigten auf ihrem Schaden sitzen. "Die Versicherung, die einst 22 Millionen Euro bezahlt hat, kann sie sogar zurückfordern", sei ein Ergebnis. "Es ist ein Freibrief für Reeder und Politiker in ähnlichen Katastrophen", fügte Trepart an.

Der Bürgermeister von Muxia Félix Porto ist "überrascht". Auch die Strände und Küsten der Gemeinde mit 5.000 Einwohnern waren einst schnell von einer dicken Ölschicht überzogen. Dass solche Katastrophen keine juristischen Folgen hätten, produziere "Ohnmacht", sagte er gegenüber Radio Euskadi. Er weist darauf hin, dass auch heute noch kein Protokoll festlege, was im Fall einer neuen Havarie geschehen muss. "Wir befinden uns in einer sehr ähnlichen Situation wie damals." Positiv ist für Porto nur, dass tausende Freiwillige gekommen sind, um Vögel zu retten und die Ölpest schnellstmöglich auf eigene Kosten und mit eigenen Mitteln zu beseitigen.

Die vielen Helfer und die Bewohner haben nicht vergessen, dass es der heutige Ministerpräsident Mariano Rajoy war, der nach dem Untergang die Katastrophe kleinzureden versuchte und kaum Hilfe schickte. Damals war er Vize-Regierungschef und leitete den Krisenstab. Ob es einen solchen überhaupt gab, konnte vor Gericht nicht geklärt werden. Als es Sitzungsprotokolle anforderte, bekam es keine. Sie wurden nicht angefertigt, sind kompromittierend oder es fanden keine Sitzungen statt. Und als am Strand von Muxia schon riesige Ölfladen angeschwemmt wurden, sagte Rajoy noch, aus kleinen Lecks würden "fadenähnlich" nur geringe Mengen Öl austreten. Es werde sich in der Tiefe der kalten See schnell "verfestigen", meinte er damals, als real Tonnen über Tonnen ins Meer flossen. Abgeschlossen ist der Fall nicht, denn es wird erwartet, dass Berufung gegen das Urteil eingelegt wird.