Gutachten: EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung unvereinbar mit Grundrechten der Europäischen Union

Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung hoffen auf Einsicht der Großen Koalition: "Die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland kann keine Option mehr sein"

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Ein Gutachten des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof, Cruz Villalón, lässt die Gegner der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hoffen. Denn Villalón kommt darin zum Ergebnis, dass "die L:2006:105:0054:0063:DE:PDF: Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten (…) in vollem Umfang unvereinbar (ist) mit Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union."

Insbesondere rückt Villalón in seiner Begründung hervor, dass Art. 6 der Richtline von 2006 nicht mit der Charta vereinbar ist (namentlich mit Art 7. und 52 Abs.1), "soweit er den Mitgliedstaaten vorschreibt, sicherzustellen, dass die in ihrem Art. 5 genannten Daten für die Dauer von bis zu zwei Jahren auf Vorrat gespeichert werden".

Aus dem Gutachten geht hervor, dass Villalón die Richtlinien der Vorratsdatenspeicherung nicht per se als mit der Grundrechtscharta unvereinbar, als null und nichtig, versteht, sondern eine chartakonforme Änderung für möglich hält.

Die aktuelle Umsetzung ist laut Gutachten nicht legitim; die Regelungen müssen überarbeitet werden, so die Forderung. Darauf verweist das Gutachten insbesondere im Punkt der Zeitdauer der Speicherung: "Mit anderen Worten – und mit aller bei dieser Dimension der Verhältnismäßigkeitskontrolle stets gebotenen Zurückhaltung - hat mich kein Argument von dem Erfordernis zu überzeugen vermocht, die Vorratsdatenspeicherung über ein Jahr hinaus zu verlängern."

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung zieht aus dem Gutachten dennoch die Hoffnung, dass damit der prinzipielle Verstoß gegen Grundrechte europäischer Bürger klar und deutlich herausgestellt wird - und dass dies "auch Auswirkungen auf deutsche Pläne" habe (diese sehen allerdings ein halbes Jahr als Speicherdauer vor). Für Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis setzt das Gutachten eindeutige politische Zeichen:

"Auch wenn das Gutachten noch kein Urteilsspruch ist, sollte klar sein, dass damit die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keine Option mehr sein kann."

Union und SPD würden, so fährt er fort, wenn sie "noch immer" dem Koalitionsvertrag folgen, mit ihrer Überwachungspolitik den Boden der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit verlassen. Sollte die SPD nicht von der Einführung der Vorratsdatenspeicherung absehen, müssten die Mitglieder gegen die Annahme des Koalitionsvertrages stimmen, appelliert Werner Hülsmann vom Arbeitskreis an die Parteimitglieder, die ihr Votum noch nicht abgegeben haben.

Das Gutachten, das noch kein Urteil ist, zeigte auch bei manchen Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung Wirkung. So schildert der Spiegel den Vorsitzenden des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) im Bundeskriminalamt, Andy Neumann, als "entsetzt" über das Gutachten:

"Europa macht sich aus lauter Angst vor staatlichen Institutionen zum Schlaraffenland für Kriminelle."

Wie, die Beachtung von Grundrechten wird übersetzt mit "Angst vor staatlichen Institutionen"? An wessen Schlaraffenland bauen solche Äußerungen?

Es stehe zu befürchten, wird Neumann weiter zitiert, dass sich die Richter der Auffassung des Generalanwalts anschließen könnten.