Sind fast die Hälfte der Sunniten in Europa Fundamentalisten?

Studie sieht deutliche Unterschiede zu Aleviten und Christen

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Der Liberal-Islamische Bund sieht sich als Vertretung eine Mehrheit der Moslems in Europa. Eine neue Studie des Migrationsforschers Ruud Koopmans vom Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB) stellt diese Aussage zwar nicht direkt infrage, weckt aber Zweifel daran, wie groß diese Mehrheit ist.

Den in der Dezemberausgabe der WZB-Mitteilungen veröffentlichten Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter 18.000 Moslems und Christen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Schweden zufolge stimmen nämlich 45 Prozent der türkischen und 50 Prozent der arabischstämmigen Sunniten in diesen sechs Ländern drei Aussagen zu, deren kumulative Bejahung Koopmans als Merkmal von Fundamentalismus sieht. Aleviten, die alle drei Aussagen bejahten, machen nur 15 Prozent ihrer Konfession aus.

Die Aussage, dass zu den "Wurzeln" ihrer Religion "zurückgekehrt" werden sollte, stieß bei fast 60 Prozent der befragten Moslems auf Zustimmung. 65 Prozent meinten, sie würden eigene religiöse Vorschriften über die Gesetze des Landes stellen, in dem sie leben. Und 75 Prozent gaben an, dass es nur eine einzige Lesart ihrer Heiligen Schrift geben könne. Bei Christen lagen die Vergleichswerte mit 21, 13 und 18 Prozent deutlich darunter. Allen drei Aussagen stimmten aus dieser Gruppe lediglich vier Prozent zu.

Um auszuschließen, "dass diese Unterschiede auf die soziale Klasse und nicht auf die Religion zurückzuführen sind", führte der Soziologieprofessor eine "Regressionsanalyse unter Berücksichtigung von Bildungsniveau, Arbeitsmarktstatus, Alter, Geschlecht und Familienstand" durch. Diese verringerte die Unterschiede zwischen Moslems und Christen jedoch nicht.

Dass der Fundamentalismus keine "unschuldige Form strenger Religiosität" ist, zeigt sich Koopmans zufolge an einer "Feindlichkeit gegenüber Fremdgruppen", die er aus den Antworten auf weitere Fragen ableitet: 60 Prozent der von ihm befragten Moslems und 13 Prozent der Christen lehnen Homosexuelle im eigenen Freundeskreis kategorisch ab. 45 Prozent der Moslems und neun Prozent der Christen zeigen sich der Überzeugung, dass man Juden nicht trauen könne. Und dass die jeweils andere Religionsgemeinschaft die eigene zerstören will, glauben unter den Moslems 45 und unter den Christen 23 Prozent.