Betäubt, Kaiserschnitt, Kind in den Händen der Behörde

"Kindeswohl": Britische Sozialbehörden greifen bei einer italienischen Patientin zu drastischen Mitteln

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wann muss/darf der Staat eingreifen, um für das Kindeswohl zu sorgen?

Die große Frage mit den vielen Schattierungen und Schauplätzen - hierzulande etwa die Themen Krippen, Betreuungsgeld, Sorgerecht bis hin zur nicht-medizinisch induzierten Beschneidung - hat die frühere britische Regierung unter Premier Blair Mitte der 2000er Jahre mit einem Maßnahmen-Katalog zu beantworten versucht, der für viele in Richtung Big-Brother-Staat wies, da er dem Staat verstärkte Interventionsrechte zusprach, begleitet von Überwachung frühkindlicher Entwicklung bis hin zu Plänen, problematische Kinder sehr früh ausfindig zu machen ( Ärger verhindern - schon vor der Geburt).

Die Politik der Vorbeugung legitimierte sich damit, dass das Zusammenleben an erster Stelle stehen sollte. Antisozialem Verhalten und Ausschluss, dem An-den-Rand-Drängen problematischer Milieus und der dort aufwachsenden Kindern sollte mit Gesetzeskraft entgegengearbeitet werden.

Von diesen Plänen ist seither kaum mehr zu lesen. Großbritannien hat längst eine neue Regierung, die hier etwas leiser arbeitet. Dass die Macht der Sozialbehörden, darüber zu bestimmen, was das Beste für das Kind ist, nach wie vor stark ausgeprägt ist, darauf deutet aktuell ein ungewöhnlicher Fall.

Mental Health Act

Eine Italienerin, die sich für einen Ryan-Air-Ausbildungskurs in London aufhielt, fiel durch einen Anruf bei der Polizei auf. Sie wirkte verstört, die Auskunft der Mutter, welche die Polizei zufällig bekam, wies auf eine bipolare Störung der Frau hin. Die Polizei brachte die schwangere Frau in ein Krankenhaus mit einer psychiatrischen Abteilung. Dort verweigerte man der Frau aus Italien den später geäußerten Wunsch, das Krankenhaus wieder zu verlassen, mit Hinweis auf die Gesetzeslage (Mental Health Act). Und es kamen noch einige dramatische Wendungen dazu.

Die Sozialbehörden schalteten sich ein. Der Frau wurde eines Tages kein Frühstück gereicht, ohne ihr Gründe zu nennen, so berichtet die Zeitung Telegraph. Auf ihren Protest hin wurde sie festgehalten und narkotisiert. Wie die Frau dann später herausfand, wurde sie anschließend im Krankenhaus einer Kaiserschnitt-OP unterzogen.

Zur Pflege bei den Social Services

Der Säugling wurde den Sozialbehörden zur Pflege gegeben. Dort blieb das Baby auch. Jetzt soll das Kind zur Adoption freigegeben werden, die Aussichten der Mutter, das Kind wiederzubekommen, hängen sehr davon ab, wie gut ihr Anwalt argumentieren kann und ein Abgeordneter, der die Angelegenheit vor das britische Unterhaus bringen will.

Die Sozialbehörde von Essex hatte eine Gerichtsorder (High Court) für die herbeigeführte Geburt. Ein Gericht in Rom bestätigte, dass das Gericht seinerzeit, im Sommer vergangenen Jahres, tatsächlich auch dafür zuständig war. Ein Gericht in Großbritannien (Chelmsford Crown Court), vor dem die Frau anschließend klagte, erkannte zwar, dass die Frau, die medikamentös behandelt wird, nun einen guten Eindruck mache. Dennoch werde das Kind besser zur Adoption freigegeben, weil die Mutter dem Risiko eines Rückfalls ausgesetzt sei.

Auch die Familie der Italienerin hatte sich eingeschaltet. Die Frau des früheren Manns ihrer Mutter (der Großmutter des Kindes) bot an, das Baby zu adoptieren. Der Ex der Großmutter ist der Vater einer Halbschwester der Klägerin. Da er aber nicht mit ihr, der Mutter des Babys, verwandt ist und damit keine Blutsverwandschaft vorliegt, wurde dieser Bitte, das Kind wenigstens in den größeren Familienkreis zurückzuholen, auch nicht entsprochen.

"Essex social services ruled that this was unacceptable because, even though she was the aunt of the baby’s stepsister, the American woman had no 'blood' tie to the baby."

Die Begründung deutet nicht gerade auf Fingerspitzengefühl hin, eher auf Gesetzespedanterie. Warum die Sozilabehörden sich anscheinend während des ganzen Verlaufs der Geschichte nicht an die Verwandten der psychisch Kranken in Italien gewandt haben, um mit diesen eine Lösung zu erarbeiten, wie man das Kindeswohl garantieren und gleichzeitig auch das Wohl der Mutter berücksichtigen könnte, bleibt ein Rätsel.

Das zweite Rätsel betrifft den Unbekannten in der Geschichte: Der Vater wird überhaupt nicht erwähnt.