"Vorzimmer des Faschismus" in Spanien?

Die Regierung will sogar friedliche Proteste gegen ihre Politik mit drakonischen Strafen von bis zu 600.000 Euro aushebeln

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Da die Proteste gegen die Einschnitte in demokratische Rechte, gegen Privatisierungs- und Kürzungspolitik in Spanien stark sind, sollen sie ganz offensichtlich eingeschränkt und kriminalsiert werden. Es ist wohl kein Zufall, dass genau jetzt ein Vorstoß kommt, nachdem der Müllstreik in der Hauptstadt erfolgreich war.

Die Gesetzesverschärfungen, welche die ultrakonservative spanische Regierung beschließen will, werden von Juristen und der Opposition heftig abgelehnt. Das "Gesetz zum Schutz der Bürger", dass am Freitag im Kabinett beschlossen werden soll, nennen die Sozialisten (PSOE) "Gesetz zur Repression gegen Bürger". Die Sprecherin der großen Oppositionspartei Soraya Rodríguez spricht davon, dass die massiven Gesetzesverschärfungen die Grundrechte der Bürger weiter beschneiden und einer Demokratie unwürdig seien.

Auch die wichtigsten Vereinigungen von Juristen stellen sich gegen die geplanten Verschärfungen, die drakonische Geldstrafen von bis zu 600.000 Euro auf für friedliche Proteste vorsehen. Sie seien "autoritär und unnötig". Die Vereinigung "Richter für die Demokratie" (JpD) sieht sich an Zeiten der "Franco-Diktatur" erinnert und hält es für untragbar, dass die bestraft werden, "die ihren Unmut äußern". JpD stuft als "sehr repressiv" ein, spontane friedliche Proteste mit Geldstrafen von 30.001 bis 600.000 Euro bestraft zu wollen.

Der ehemalige Chef der Vereinten Linken (IU) Julio Anguita sprach im Interview mit Radio Euskadi am Mittwoch davon, Spanien befinde sich im "Vorzimmer des Faschismus". Gesetzesverschärfungen nannte er einen "Staatsstreich in Zeitlupe". Wie die Opposition weisen auch Richter darauf hin, dass Gerichte alle die Tatbestände, die nun hart bestraft werden sollen, bisher durch demokratische Grundrechte wie der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit gedeckt sahen.

Bezweifelt wird allgemein, dass dies mit der Verfassung vereinbar ist. Denn wie im Franquismus soll Protest nur noch dann stattfinden, wenn er frühzeitig beantragt und genehmigt worden ist. Das verstößt eindeutig gegen die Verfassung. Absatz 1 in Artikel 21 sieht das "Recht auf friedliche Versammlungen ohne Waffen" vor. Ausdrücklich heißt es darin im zweiten Satz: "Die Ausübung dieses Rechts bedarf keiner vorherigen Genehmigung."

Und harte Geldstrafen drohen auch Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, die immer mal wieder das Parlamentsgebäude in Madrid besteigen und mit Transparenten gegen Atomenergie protestieren oder für Klimaschutz werben. Auch das soll in die Kategorie "gravierender Verstöße" fallen, wie Protest vor Institutionen wie dem Parlament, einem Atomkraftwerk oder in der Nähe der Privatwohnung eines Politikers. Das hatten die Opfer der Zwangsräumungen immer wieder getan und wurden dafür von den Postfaschisten mit Nazis gleichgesetzt.

Ziviler Ungehorsam gegen die Räumungen soll künftig auch drakonisch bestraft werden, obwohl diese oft illegal sind, wie internationale Gerichtshöfe immer wieder festgestellt haben. Künftig soll auch verboten sein, Sicherheitskräfte bei zum Teil sehr brutalen Einsätzen zu filmen. Kürzlich führten Aufnahmen von Anwohnern im Stadtteil Raval von Barcelona dazu, dass Polizisten suspendiert und angeklagt wurden. Sie hatten einen am Boden liegenden Unternehmer noch mit Fußtritten und Schlägen traktiert, der schließlich starb.

Schutz der Politiker?

Selbst in höchstrichterlichen Kreisen wird das Vorhaben abgelehnt. Die Richterin am Obersten Gerichtshof und Sprecherin des spanischen Justizkontrollrats (CGPJ) Magarita Robles sieht in der Reform "ein weiteres Glied" in einer Kette von Grundrechtsbeschneidungen, seit die konservative Volkspartei (PP) die Wahlen gewonnen hat.

Die Regierung weist die Kritik an der Reform zurück und verweist auch darauf, dass der eigentliche Gesetzestext noch gar nicht veröffentlicht sei. Sie erklärt, dass Gesetz aus dem Jahr 1992 sei veraltet und müsse an eine neue Realität angepasst werden. So soll nun auch gegen Prostitution und gegen den "Botellón" vorgegangen werden. So nennen Jugendliche ihre Trinkgelage auf öffentlichen Plätzen. Ministerpräsident Mariano Rajoy wies am Mittwoch die Vorwürfe zurück, dass es sich um ein "Knebelgesetz" handelt, denn unter dem Namen wird es in den Medien debattiert. Er meinte, es gehe darum, die "Freiheit aller Bürger zu garantieren".

Der Sprecher der großen Polizeigewerkschaft SUP José María Benito glaubt allerdings nicht daran, dass mit der Reform ihre Arbeit sicherer wird, nur weil auch Beleidigungen hart bestraft werden sollen. Schon jetzt seien Angriffe, Drohungen und ähnliches vom Strafrecht abgedeckt und würden zum Teil mit Haft bestraft. Derlei Vorgänge administrativ mit hohen Geldstrafen zu belegen, diene dazu, "unter dem Deckmantel des Schutzes von Polizisten", eine "Politikerkaste" zu schützen. Das sagte der Polizist, der Sympathien für die Proteste der Empörten zeigte, die allesamt mit der neuen Reform bestraft würden.