Syrien, die Folter und Heuchelei

Das Dossier über Folter in Syrien dokumentiert nur, was seit Jahren bekannt war. Trotzdem sollten noch 2009 Tausende syrische Oppositionelle ausgewiesen werden

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Allgemeine und geheime Wahlen seien die Lösung aus der syrischen Krise. Dieser Vorschlag kommt von einer Seite, die an der Syrienkonferenz gar nicht beteiligt ist. Der iranische Präsident Rohani äußerte sie auf dem World-Economic-Forum im schweizerischen Davos. Dass er dort hofiert, zeigt, wie sich der Einfluss des Iran auf die Weltpolitik in der letzten Zeit verändert hat. Führenden Wirtschafts- und Kapitalkreisen der verschiedenen Länder kann es nicht schnell genug gehen, mit dem Iran wieder Handel zu treiben.

Die hätten das Land auch gerne als Teilnehmer bei der Syrienkonferenz gesehen. Doch die Spannungen mit den an Saudi-Arabien orientierten Kräften erzwangen eine Ausladung in letzter Minute. Welche Position das Land dort vertreten hätte, hat nun Rohani in Davos verkündet. Dabei merkt man auch, wie man mit gefälligen Positionen Nebelwände ziehen kann.

Denn die Wahlen solle nach Rohanis Vorstellung erst dann stattfinden, wenn die Terrorgruppen zerschlagen sind. Damit aber sind im Zweifel nicht nur die islamistischen Gruppen, sondern alle Oppositionellen gemeint. Mit der Bekämpfung werden auch die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt, die kurz vor der Konferenz wieder einmal weltweit für Empörung sorgen.

Welche Alternative gibt es zu den Verhandlungen?

Ein Überläufer aus dem Polizeiapparat hat einen Rapport veröffentlicht, der systematische Folterung und Tötung von Tausenden Menschen in syrischen Gefängnissen berichtet. Sofort setzte eine Diskussion darüber ein, ob man sich mit Vertretern eines solchen Regimes überhaupt an den Verhandlungstisch setzen kann. Dabei drückte man sich gerne um die Alternative herum, die in einen militärischen Angriff auf Syrien bestehen würde. Oder wie soll sonst die Unterstellung der syrischen Gefängnisse unter internationale Aufsicht bewerkstelligt werden, die der Taz-Kommentator Dominic Johnson in seinen Kommentar forderte?

Wenn er dort schreibt: "Das Verbrecherregime in Damaskus hat nicht erst durch seine Kriegstaktik der verbrannten Erde und der systematischen Vernichtung oppositioneller Bevölkerungsteile seine Legitimität verspielt, sondern schon vorher durch seinen brutalen Umgang mit jeder inneren Infragestellung. 2013 führten Chemiewaffenangriffe bei Damaskus dazu, dass Syriens Chemiewaffenarsenale unter internationale Aufsicht gestellt und zwecks Vernichtung ins Ausland gebracht werden", unterschlägt er souverän, dass über die Urheber des Giftgaseinsatzes keine Klarheit besteht.

Die US-Forscher Richard Lloyd, ein früherer UN-Waffeninspekteur, und Theodore Postol, ein Professor am Massachusetts Institute of Technology kamen in einer in der letzten Woche veröffentlichten Studie zu dem Schluss, dass sie eher vom Rebellengebiet aus als von dem unter Regierungskontrolle stehenden Areal abgefeuert wurden. Damit ist nun keineswegs geklärt, wer für den Giftgaseinsatz verantwortlich ist. Allerdings wird deutlich, wie schwierig eine Klärung ist.

War Folterdossier Störung des Friedensprozesses?

Auch das Folterdossier wurde von „antiimperialistischen Medien“ umgehend als Störfeuer gegen den Friedensprozess bezeichnet. Dabei hat auch die Taz, die das Dossier zum Anlass für eine umfangreiche Berichterstattung nahm, die Zweifel nicht verschwiegen, die vor alle mit dem Datum der Veröffentlichung unmittelbar vor Beginn der Syrien-Konferenz zusammenhängt.

"Es ist gewiss kein Zufall, dass der Bericht über die systematische Tötung syrischer Gefangener am Dienstag bekannt geworden ist: Am Mittwoch beginnt im schweizerischen Montreux die UNO-Syrienkonferenz. Alle Protagonisten und ihre Unterstützer haben ein vehementes Interesse daran, den Gegner in ein möglichst schlechtes Licht zu setzen. Der Report über die Gefangenenmorde wurde von einer bekannten Londoner Kanzlei als Rechtsgutachten im Auftrag des Emirats Katar erstellt. Katar unterstützt syrische Rebellen. Es handelt sich also um einen interessengeleiteten Auftrag, und die Informationen wurden mit Bedacht zunächst dem US-Sender CNN und dem britischen Guardian zugeleitet," heißt es in der Anmerkung unter der Überschrift "Folter und Verantwortung für die Medien". Doch auch die Schlussfolgerung,  die der Autor zog, ist logisch:

"Ist der Report also in Wirklichkeit Propaganda? Der Tag der Veröffentlichung und der Auftraggeber der Studie könnten darauf schließen lassen. Jedoch: Nur weil der Zeitpunkt der Veröffentlichung im Interesse einer der Konfliktparteien liegt, muss die darin enthaltene Information nicht falsch sein."

Diese Erklärung überzeugt. Nur weil Informationen zu strategisch und taktisch günstigen Terminen veröffentlicht werden, müssen sie nicht falsch sein.

Islamisten wurden nach Syrien zum Foltern überstellt

Zumal niemand dieses Dossier brauchte, um über die Folterpraktiken des syrischen Regimes zu wissen. Menschenrechtsorganisationen stießen in der deutschen Politik und Öffentlichkeit jahrelang auf Desinteresse, als sie über die Folterpraktiken und die ständigen Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes informierten.

Im Jahr 2009 versuchten sich syrische Oppositionelle in Berlin verzweifelt gegen ihre Abschiebung nach Syrien zu wehren. Darunter befand sich der syrisch-kurdische Schriftsteller Abdellhamid Osman.

Gemeinsam mit anderen Flüchtlingen befand er sich seit dem 24. Februar 2009 mehrere Wochen in einem Hungerstreik und campierte in Protestzelten gegenüber dem Bundesinnenministerium. Sie wurden von den Ordnungsbehörden schikaniert, durften sich nicht einmal mit Regenschirmen gegen das feuchte Winterwetter schützen. Auch die Medienöffentlichkeit ignorierte das Anliegen der Protestierenden zum größten Teil. Sie machten darauf aufmerksam, dass Anfang 2009 über 50.000 Ausweisungs- oder Abschiebungsforderungen gegen in Deutschland lebende syrische Staatsbürger ergangen ist.

Die Öffentlichkeit interessierte kaum, dass ihnen genau diese Folter drohte, die nun für große Empörung sorgt. Wahrscheinlich hat die Eskalation in Syrien die meisten der Flüchtlinge vor diesem Schicksal bewahrt. Eine wahrnehmbare zivilgesellschaftliche Bewegung für ihre Anliegen aber gab es nicht. 2009 galt schließlich Syrien als heimlicher Verbündeter.

In das Land wurden schon mal gefangene Islamisten wie Mohammed Zammar überstellt, wenn es galt, von ihnen Aussagen zu erfoltern. Schließlich konnten sich die syrischen Ermittler einiges leisten, das in anderen Staaten nicht möglich gewesen wäre. Genau diese Fakten sorgen nun für die Empörung, wenn sie auf Fotos dokumentiert werden.

Vielleicht soll die rituelle Empörung von der Frage ablenken, was denn Deutschland davon wusste, als man Flüchtlinge, die in dem Land Schutz suchten, zur Ausreise aufforderte. Wenn man nun auch nicht mehr mit dem Folterstaat Syrien paktieren will, sollte das nicht als Hinwendung zu einer menschenrechtlichen Position missverstanden werden. Schließlich sind die Beziehungen zu Saudi-Arabien, das in Sachen Folter und Verfolgung von Oppositionellen Syrien noch einiges voraus hat, weiterhin hervorragend. Von dort werden auch einige der Islamisten unterstützt, die in Syrien auf Seiten der Opposition für Verfolgung und Terror sorgen.

Weder Assad noch Islamisten

Derweil befindet sich die zivilgesellschaftliche Opposition, die weder den Terror des Assad-Regimes noch der oppositionellen Islamisten erdulden will, in einen Zweifrontenkrieg. Die Initiative hat einen Blog eingerichtet, in dem Stimmen dieser Zivilgesellschaft zu Wort kommen.

Neben den dort vertretenen oppositionellen Gruppen und Einzelpersonen, gibt es noch eine weitere moderate Opposition zum syrischen Regime, die sich ebenfalls auf der Genfer Konferenz nicht vertreten fühlt. Dazu gehören auch syrische Frauengruppen. Ihre Forderungen nach einer angemessenen Beteiligung von Frauen an der Konferenz werden auch von deutschen Frauengruppen unterstützt.