Massenmörder mit Familie

Ein Film stellt sich am Beispiel der deutschen Einsatzgruppen im Zweiten Weltkrieg die Frage, wie normale Männer Massenmörder wurden, blendet aber die deutschen Spezifika aus

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"Männer, Frauen, Kinder, alle umgebracht. Liebe Heidi. Mach Dir keine Sorgen. Alles wird gut." Diese Zeilen hat ein Mitglied jener deutschen Einsatzgruppen, die während des Zweiten Weltkriegs in den von der Wehrmacht besetzten osteuropäischen Ländern Juden, Kommunisten, Sinti und Roma ermordeten, an seine Familie nach Hause geschrieben.

Das Zitat findet sich in dem Film "Das radikal Böse" des österreichischen Regisseurs Stefan Ruzowitzky, der am 16. Januar in die deutschen Kinos kommt. Er setzt sich mit den Verbrechen in der NS-Zeit auf eine Weise auseinander, dass die abgedroschene Floskel, dass hier Maßstäbe gesetzt würden, ausnahmsweise einmal passend ist.

Einsatzgruppen – die Speerspitze des NS-Massenmordes

Zunächst ist es bemerkenswert, dass Ruzowitzkys Filmessay nicht die Opfer, sondern die Täter in den Mittelpunkt des Films stellt. Schon das ist eine Ausnahme. Zudem handelt es sich um eine Tätergruppe, die in der öffentlichen Debatte weitgehend ausgespart wird. Wenn überhaupt deutsche Täter in den Blick geraten, dann sind es KZ-Kommandanten oder deren engste Mitarbeiter. Dass aber ein Großteil der Massenmorde nicht in den Konzentrationslagern verübt wurde, sondern in Osteuropa oft auf freien Feldern außerhalb von Dörfern und Städten, wo die Opfer ihre Gräber oft noch selber schaufeln müssten, wird dabei oft vergessen. Diese historische Tatsache ist im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland auch kaum präsent.

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Das radikal Böse. Bild: docMovie / Christoph Rau / Benedict Neuenfels / Wolfgang Richter / Phillip Wölke

Daher sind die Details dieser Mordaktionen auch noch wenig bekannt. So hat Jens Hoffmann mit seinen im Konkret-Verlag erschienenen Buch "Das kann man nicht erzählen – Aktion 1005" in einer größeren Öffentlichkeit bekannt gemacht, wie Gestapo und SS im Rahmen der Aktion 1005 die Leichen der Ermordeten ausgraben ließ, als die Rote Armee näher rückte. Im Berliner Metropolverlag haben Stephan Lehnstaedt und Jochen Böhler erstmals eine vollständige Edition der Einsatzgruppen-Berichte aus Polen aus dem Jahr 1939 herausgegeben ( Die Berichte der Einsatzgruppen aus Polen 1939).

Die historischen Details dieser deutschen Speerspitze des Massenmordes stehen allerdings nicht im Fokus des Films "Das radikal Böse". Im Film steht die anthropologische Komponente im Mittelpunkt. Seine Fragestellung lautet, wie ganz normale Männer in bestimmten historischen Situationen zu Mordmaschinen werden können, die Fußballspielen oder ihre Kinder grüßen, nachdem sie Männer, Frauen und Kinder niedergemäht haben.

Der Massenmord als Job, der erledigt werden muss, begegnet uns im Film immer wieder in den eingesprochenen Zitaten. Sie sind Feldpostbriefen, Gerichtsaktionen, Kommissionsberichten entnommen, in denen die Täter sich äußerten. Darunter befanden sich auch Männer, die am Anfang durchaus mit ihrem blutigen Job nicht einverstanden waren. Die darüber klagten, dass sie als ehrbare deutsche Soldaten noch wehrlose Frauen und Kinder erschießen mussten. Manche trugen sich sogar mit Suizid-Gedanken. Andere schrieben aber, dass der Blutjob für sie bald Routine wird. Es ist eine Aufgabe, die erledigt werden muss, um in der Freizeit das normale Leben möglichst unbelastet davon führen zu können.

Warum verweigerten so wenige die Beteiligung am Massenmord?

Nur ganz wenige allerdings zogen die Konsequenz und verweigerten den Massenmord. Im Film wird auch ästhetisch sehr gelungen gezeigt, dass die Betroffenen degradiert und von ihren Vorgesetzen und Kumpanen als Memmen und Schwächlinge bezeichnet wurden, dass aber eine solche Verweigerung keine Strafen, schon gar nicht die Hinrichtung zu Folge hatte.

Auf die Frage, warum auch die Männer, die in ihren Briefen die persönliche Abscheu vor dem Blutjob ausdrückten, in der Regel den Mordauftrag nicht verweigerten, gaben Historiker und Psychologen im Film sehr unterschiedliche Erklärungen. So verweist der Historiker Christopher Browning auf die spezifische Situation der Mörder, die in ihren Einheiten natürlich keine Beratungen für Verweigerungen bekamen. Browning gehört mit seiner Fallstudie über das Hamburger Polizeibataillon 101 zu den Pionieren der Forscher über die Einsatzgruppen. Das Buch trug den bezeichnenden Titel "Ganz normale Männer".

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Wie deutsch waren die normalen Männer?

Diese These war ein Fortschritt gegenüber der lange verbreiteten Vorstellung, die Menschen, die sich aktiv an der Verfolgung an der Ermordung von Juden und NS-Gegnern beteiligt hatten, hätten vielleicht im deutschen Namen gehandelt, aber die deutsche Bevölkerung sei davon nicht tangiert. Nun kann man allerdings die Normalitätsthese, wie übrigens auch Hannah Arendts auf Adolf Eichmann bezogene Diktum von der Banalität des Bösen, auch überziehen.

Genau das passiert im Film, wenn die Mitglieder der Einsatzgruppen nicht als ganz normale Männer im NS-Deutschland, sondern als ganz normale Männer der Spezies Homo sapiens dargestellt werden. So werden Darstellungen verschiedener bekannter Versuchsanordnungen beispielsweise von dem dem Milgram-Experiment eingespielt, in denen die Probanden den vermeintlichen Versuchspersonen mit Stromschäden große Schmerzen und lebensgefährliche Verletzungen beibringen, zur Illustration dieser anthropologischen Argumentation im Film eingeblendet. Am Ende verweisen Interviewpartner auf aktuelle Konflikte von Ruanda bis Dafur. Man solle sich dabei nicht auf den Menschen verlassen, nur stabile Institutionen könnten im Zweifel die Morde verhindern, heißt es da.

Damit werden dann die Spezifika, die aus ganz normalen deutschen Männern Massenmörder machten, zu einen Problem zwischen Menschen und Institutionen umgedeutet. Nur so kann auch so positiv auf Institutionen verweisen, die die Morde verhindern könnten. Unerwähnt bleibt, dass es in Deutschland schon lange vor dem Aufstieg des NS völkische und antisemitische Institutionen gab, die erst diese normalen deutschen Männer so konditionierten, dass die Massenmörder wurden. Auch die Frühphase der Weimarer Republik, als widerständige Arbeiter zu Tausenden in ganz Deutschland von Freikorps ermordet wurden, lieferten eine wichtige Vorbereitung für den Massenmord.

In Klaus Theweleits "Männerphantasien"kann man einiges dazu nachlesen. Er gehörte aber nicht zu den Interviewpartnern des Filmes. So bleibt ein zwiespältiges Fazit. Der Filmessay ist ästhetisch gut gelungen und kann ein Beispiel dafür sein, wie Filme über die NS-Verbrechen in einer Zeit aussehen könnten, in denen es keine Zeitzeugen mehr gibt. Inhaltlich allerdings trägt auch er dazu bei, die spezifischen deutschen Bedingungen der NS-Verbrechen auszublenden und sie in die menschliche Spezies zu verlagern.