"Unsere Sicherheitspolitik ist viel zu militärisch geworden"

Späte Erkenntnisse eines US-Verteidigungsministers und ein neuer Appell zum Bombenangriff auf Iran

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Politologen, Amerikanisten und an Leadership Interessierte könnten einige bemerkenswerte Stellen in dem Buch finden, das der frühere Verteidigungsminister unter George W. Bush und Barack Obama, Robert Gates, nun veröffentlicht hat. Den "Memoiren eines Ministers im Krieg" entnimmt Reporter-Legende Bob Woodward einige Blickwinkel, die den Harvard-Law-School-Absolventen Obama in seinen Schwierigkeiten im Umgang mit Militärs porträtieren und zeigen, wie er einen Machtapparat im Weißen Haus aufbaute, der versuchte, bestimmte Hierarchieketten auszuspielen.

Sehr viel pointierter und schnörkelloser geht allerdings das Blog Moon of Alabama, bekannt für seine Anti-Haltung gegen US-Interventionen, mit den Gates-Memoiren vor. Es zitiert Sätze aus einer veröffentlichten Passage:

"Es ist sehr viel einfacher, Kriege anzufangen, als daraus wieder herauszukommen. Solche Personen, die über Exit-Strategien Bescheid wissen willen oder danach fragen, was passieren soll, wenn sich die Annahmen als falsch erweisen, sind selten an den Konferenztischen willkommen, wenn die feuerspuckenden Kriegsdrachen verlangen, dass wir zuschlagen. Wie dies der Fall war, als diese Leute für den Einmarsch in den Irak plädierten oder sich für eine Intervention in Libyen oder in Syrien stark machten oder für einen Angriff auf die Nuklearanlagen in Iran. In den letzten Jahrzehnten waren die Präsidenten, konfrontiert mit schwierigen Problemen in anderen Ländern, oft zu rasch dazu bereit, zu den Waffen zu greifen. Unsere Sicherheitspolitik, innen wie außen, ist viel zu militärisch geworden, der Gebrauch von Waffengewalt viel zu einfach für die Präsidenten.

Gegenwärtig verlangen zu viele Ideologen den Einsatz US-Streitkräfte als erste Option statt als letzten Ausweg. Auf der linken Seite hören wir als Argument, dass es eine Schutzverantwortung (R2P) gegenüber der Zivilbevölkerung gebe, um militärische Interventionen in Libyen, Syrien, Sudan oder anderswo zu rechtfertigen. Von den Rechten bekommen wir zu hören, dass das Unterlassen von militärischen Angriffen auf Syrien oder Iran als Abdankung des US-Führungsanspruches verstanden wird. Und so sieht uns der Rest der Welt als militaristisches Land, das eilfertig Bomber, Raketen und Drohnen tief in fremdes Territorium oder in Zonen, die von Regierungen kaum kontrolliert werden, schickt."

Wie um zu beweisen, dass Gates einen wichtigen Punkt getroffen hat, und auch Pepe Escobar mit seiner Einschätzung Recht hat, wonach in Washington die Erwachsenen in der Minderheit sind (was Gates übrigens in seinen Memoiren anhand seiner Schilderung von Kongressabgeordenten untermauert), veröffentlicht die aktuelle Ausgabe des renommierten Politikfachmagazins Foreign Affairs einen Artikel, der schon in der Überschrift klar macht, dass die Zeit für einen Angriff auf Iran drängt - dass angesichts der Umstände ein "begrenzter Bombenangriff auf die iranischen Nuklearanlagen ganz sicher jedem anderen Versuch der Containment-Politik gegenüber einem nuklear bewaffneten Iran vorzuziehen ist".

Über mögliche Reaktionen von iranischer Seite auf einen solchen Angriff steht nichts in dem Artikel von Matthew Kroenig, der sich in der Washingtoner Think Tank-Publikations- und Politik-Szene einen gewissen Namen gemacht hat (und Obamas Unterstützung für seine Argumentationslinie beansprucht). Kroenig führt auch Harvard als Station in seinem Lebenslauf auf. Lernt und lehrt man dort vor allem Spielstrategie oder auch etwas über die kulturelle und geschichtliche Hintergründe von Ländern und Zivilisationen?