Prism, XKeyscore, Muscular ...

Sind die USA zur Selbstkorrektur fähig?

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Angesichts der globalen Überwachung, die maßgeblich vom US-Computergeheimdienst NSA ausgeht, stellt sich die Frage, ob die westlichen Demokratien, allen voran die USA, zur Selbstkorrektur fähig sind.

Der Rechtsrahmen für die US-Dienste, mit deren Überwachungshybris wir uns heute auseinanderzusetzen haben, war einmal selbst Antwort auf massiven Machtmissbrauch und überbordende Überwachung in den 1970er Jahren. Damals wurde in der US-Öffentlichkeit nach der Aufdeckung der breit angelegten Bespitzelung von Vietnamkriegsgegnern und anderen Oppositionellen durch FBI, CIA und NSA intensiv über die Praktiken von diskutiert.

Ausgangspunkt der Debatte war auch damals ein Leak in der NSA. Die Medien berichteten darüber, dass die NSA über Jahre routinemäßig den Nachrichtenverkehr von und nach den Vereinigten Staaten überwachte. Auch damals versuchten die Verantwortlichen, die Begrenzung der Überwachung mit allen Mitteln zu verhindern. Ihr Argument schon damals: Wenn die Öffentlichkeit Details der NSA-Aktivitäten erfahre, schade dies der nationalen Sicherheit und gefährde laufende Ermittlungsverfahren. Und wenn die Überwachung begrenzt werde, gefährde dies die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten.

Damals hatten die Sicherheitsbehörden über mehr als 300.000 Personen Dossiers angelegt, die sie "subversiver" Aktivitäten verdächtigten. Der unter dem Vorsitz des demokratischen Senators Frank Church mit der Aufklärung dieser Überwachungspraktiken beauftragte parlamentarische Untersuchungsausschuss stellte 1976 fest:

"Die Regierung hat vielfach Bürger nur wegen ihrer politischen Überzeugungen heimlich überwacht, auch wenn auf Grund dieser Überzeugungen weder Gewalt noch illegale Handlungen zu befürchten waren. … Ermittlungen gegen Gruppen, die als potenziell gefährlich eingestuft wurden, und von Gruppen, die mit potenziell gefährlichen Organisationen zusammengearbeitet hatten, wurden über Jahrzehnte fortgesetzt, obwohl diese Gruppen nicht in rechtswidrige Aktivitäten verwickelt waren."

Es liege in der Natur staatlicher Überwachungsprogramme, dass sie in die Privatsphäre, die Versammlungsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung eingreifen. Zudem bestünde eine natürliche Tendenz, dass "nachrichtendienstliche Aktivitäten den ursprünglichen Rahmen überschreiten und immer weiter gehende Forderungen nach neuen Daten erzeugen". Schließlich gebe es "starken Druck, einmal gesammelte Informationen auch zu verwenden". Zugleich sei der wirkliche Nutzen dieser Aktivitäten höchst fragwürdig. Aus diesen Gründen plädierte die Kommission für klare rechtliche Standards und eine effektive Aufsicht über die Geheimdienste. Nur so ließe sich verhindern, dass diese das demokratische System unterminieren, zu dessen Schutz sie eingerichtet worden seien.

Als Konsequenz der Feststellungen des Church-Ausschusses untersagte Präsident Gerald Ford es 1976 der CIA, elektronische Mittel gegen inneramerikanische Aktivitäten einzusetzen. Zugleich verbot er der NSA, die Kommunikation innerhalb, aus oder in die USA zu überwachen. Weitere parlamentarische Untersuchungen enthüllten das ungeheure Ausmaß der NSA-Aktivitäten. In einem Dokument aus dem für die Geheimdienstüberwachung zuständigen Unterausschuss des US-Kongresses von 1977 ist etwa über die unter dem Codenamen "Shamrock" laufende Überwachungsaktion der NSA nachzulesen, die NSA verfüge über "außerordentliche Fähigkeiten zur Telekommunikationsüberwachung … keine andere US-Behörde unternimmt derartige Aktivitäten in so gewaltiger Größenordnung". Die wichtigsten amerikanischen Fernmeldegesellschaften, etwa die Western Union, lieferten auf Basis eines mit der NSA geschlossenen Abkommens illegaler Weise täglich Kopien aller in den USA abgesandten oder empfangenen Telegramme an den Geheimdienst.

Deutlich wurde dabei auch, dass unter dem Banner der Auslandsüberwachung durchaus auch US-Bürger und Firmen ins Visier der NSA geraten können. Eine weitere, nach dem damaligen Vizepräsidenten genannte "Rockefeller"-Kommission bestätigte 1978 die durch Parlamentsausschüsse gesammelten Erkenntnisse. Auf diese Weise entstand ein breiter politischer Konsens, die Aktivitäten der NSA, die sich zu einer Art Staat im Staate entwickelt hatte, gesetzlich zu begrenzen und einer verbesserten Aufsicht zu unterwerfen.

Mit dieser Absicht verabschiedete der Kongress 1978 den Foreign Intelligence Surveillance Act (FISA), der die wesentlichen Forderungen des Church-Ausschusses aufnahm, sowohl hinsichtlich der Grenzen der Überwachung als auch hinsichtlich des Genehmigungsverfahrens. Fortan mussten derartige Maßnahmen gerichtlich, durch den FISA-Court (FISC) genehmigt werden – eine Anweisung des Präsidenten reichte nicht mehr aus. Da der FISC auf vertrauliche Informationen angewiesen ist, wurde vorgesehen, dass das Gericht unter strikter Geheimhaltung tagt und entscheidet.

Schon damals waren aber zwei wesentliche Schwachpunkte in dem System enthalten, die – wie wir heute wissen – fatale Konsequenzen haben: * Die Beschränkung von FISA auf inneramerikanische Aktivitäten der US-Sicherheitsbehörden. Die Überwachung ausländischer Kommunikationsbeziehungen und Bürger durch NSA und CIA unterlag keinen vergleichbaren Restriktionen. * Da die Verfahren vor dem FISC unter striktester Geheimhaltung stattfinden, können Argumente, die gegen die Überwachung sprechen, nicht von einer wie auch immer gearteten "Gegenseite" vorgebracht und vom Gericht geprüft werden. Damit liegt die Definitionsmacht für die Notwendigkeit von Überwachungsmaßnahmen allein bei den Sicherheitsbehörden. Zudem fehlt jede öffentliche Kontrolle.

Die ursprünglich strikten FISA-Regeln wurden in der Folgezeit – bereits vor 9/11 - aufgeweicht. Der Patriot Act von 2001 und der FISA-Amendmend Act von 2008 markieren Wegmarken bei der Aushöhlung von Schutzmechanismen, die ursprünglich vor überbordender Überwachung schützen sollten.

Diese schlechten Erfahrungen sollten nicht davon abhalten, die Bändigung nachrichtendienstlicher Aktivitäten weiterhin und erneut anzugehen. Dies gilt für die USA – dies gilt aber auch für Europa, und es gilt für Deutschland.

Der Beitrag von Peter Schaar, von 2003 bis 2013 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), wurde von seinem Blog auf der Website der Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz (EAID) übernommen.