Luxemburger Jahrhundertprozess bleibt rätselhaft

111.Prozesstag des Bommeleeër-Verfahrens über die Anschlagsserie zwischen 1984 und 1986

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Nahezu ohne Interesse deutscher Medien geht der Luxemburger Prozess zur „Afär Bommeleeër“ ins zweite Jahr. Zwei Ex-Polizisten, die einer Spezialeinheit angehörten, sind auf vager Beweislage wegen der ominösen Bombenserie Mitte der 1980er Jahre im Großherzogtum angeklagt. Im Laufe des Verfahrens und eines parallel tagenden Untersuchungsausschusses zum Luxemburger Geheimdienst SREL kam es aufgrund der Skandale sogar zu vorgezogenen Neuwahlen. Auch der 111.Prozesstag bot Überraschungen.

So zeichnet sich ab, wie es zu erstaunlichen Beweisverlusten in der Asservatenkammer kam. Dort waren die u.a. die Bauteile der Bombe vom Anschlag auf ein Gaswerk bei Hollerich verschwunden. Die heutigen Verfahren zum Abgleich mit DNA-Spuren waren damals nicht absehbar. Ein Angestellter sagte nun aus, die Bauteile seien 1996 auf Weisung des ehemaligen Gendarmerie-Chef Armand Schockweiler entsorgt worden – der damals allerdings gar nicht mehr im Amt, sondern bei der konventionellen Polizei war. Schockweiler soll sogar selbst Kisten mitgenommen haben. Schockweiler war zuvor im Verfahren durch erstaunliche Gedächtnisschwäche aufgefallen, etliche Polizisten ohne Tadel schienen „auf einen Schlag und alle zusammen inkompetent“ worden zu sein. Auch der frühere Ermittler Charles Bourg litt an Erinnerungslücken. Auch ein vernommener Untersuchungsrichter, der in den 1990er Jahren die Affäre bearbeitete, hatte geringen Arbeitseifer bewiesen.

Die Beweisverluste von Sprengstoffen, die zur Untersuchung an das deutsche BKA versandt worden seien, wurden nunmehr einsichtig durch die dortigen Experimente mit dem Material erklärt. Die Zündmechanismen der Bomben selbst seien primitiv gewesen und hätten mit entsprechend bekannten Bauanleitungungen von Laien angefertigt werden können - was allerdings auch eine intendierte Fehlspur sein kann. Ausnahme war die Sprengfalle in jener Stablampe, deren Zündkapsel beim Aufheben durch einen Quecksilberschalter ausgelöst wurde. Genau ein solcher damals schwer zu beschaffender Schalter hatte sich in einer inzwischen verschwundenen Kiste befunden, in welcher die Spezialeinheit zu Schulungszwecken Bombenbauteile lagerte. Im Nachlass des Waffenmeisters Henri Flammang, der sich 1995 das Leben genommen hatte, wurde eine Vielzahl an Schusswaffen und Sprengstoffen gefunden, die auf eine Obsession schließen lassen.

Auch die Spur um den Super-Flic Ben Geiben, der unter unklaren Umständen seine tadellose Karriere überraschend abgebrochen hatte und dann Sicherheitschef von Euro-Disney wurde, ist um eine Kuriosität reicher. Waren bislang schon Anlass und Umstände der Observation Geibens als Verdächtigem der Bombenattentate unklar geblieben, so hatte Geiben angegeben, seine Beschatter bei einem Ausflug nach Brüssel bemerkt und an einer roten Ampel zur Rede gestellt zu haben. Bei einem gemeinsamen Glas mit seinen Schatten hätten diese ihren Auftrag eingeräumt. Die belasteten Beamten bestreiten diese Darstellung. Sollte Geiben tatsächlich der Bombenleger gewesen sein, wäre dies für die Ermittler mehr als peinlich. So war seine Observation nicht nur in Brüssel, sondern auch in Luxemburg gescheitert, wo just in dem Moment im Justizpalast am Büro des befassten Untersuchungsrichters eine Bombe explodierte. Auch insoweit wäre eine Vertuschung der blamablen Untersuchung nachvollziehbar.

Geibens offenbar gute Kontakte zu Sicherheitskreisen in Brüssel, wo er schließlich seinen Wohnsitz nahm, bedienen die Spur zur NATO, die dort ihr Hauptquartier hat und vom Anschlag auf den Flughafen Findel politisch profitierte, indem dort die Sicherheitseinrichtungen deutlich hochgefahren wurden. Es war die NATO gewesen, die seinerzeit in ihren Mitgliedsstaaten die ultrageheimen Stay Behind-Einheiten aufbaute, um im Fall eines Überfalls des Warschauer Pakts den Widerstand von innen zu organisieren. Die Luxemburger Stay Behind-Einheit war der Anlass zum Aufbau des Geheimdienstes SREL gewesen. Noch immer nicht so recht kann eingeordnet werden, was die von der CIA gedeckten Gladio-Schattenmänner Licio Gelli und Stefano Delle Chiaie während der Attentatsserie in Luxemburg unter Protektion der Behörden zu suchen hatten. Die NATO-Spur aber ist nur eine im Luxemburger Spiegelkabinett, wie es wohl James Jesus Angleton ausgedrückt hätte. Seit 1990 die Existenz von Stay Behind bekannt wurde, hat die NATO keinerlei Informationen hierüber freigegeben. Dass im Großherzogtum höchste Kreise verwickelt sein müssen, wurde durch die Verdachtsmomente in Richtung der Luxemburger Prinzen augenfällig, von denen einer an einem Tatort gesehen worden sein soll, sowie an Polizeichefs, die lieber die Karriere vorzeitig beendeten, als ihr Gedächtnis anzuspannen.

Selbst ausgewiesene Beobachter des seit über einen Jahr währenden Verfahrens trauen sich keine Prognose zum Ausgang zu. Einigkeit besteht darin, dass die Anschläge mit Insiderwissen ausgeführt worden und daher eine Form von Staatsterrorismus sein müssen. Ob die beiden angeklagten Polizisten freigesprochen werden, oder ob der generellen Amnesie eine Generalamnestie folgt, wagt niemand zu prognostizieren.