Angst vererbt sich

US-Forscher konditionieren Mäuse generationsübergreifend

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Dass es neben einer genetischen auch eine epigenetische Vererbung gibt, ist seit vielen Jahren bekannt. Nun wiesen Neurobiologen an Mäusen nach, dass sich mit dieser Erkenntnis Konditionierungen gezielt vererben lassen. Dass sich solche Reiz-Reaktions-Schemata künstlich erzeugen lassen, wurde erstmals vom russischen Verhaltensforscher Iwan Petrowitsch Pawlow wissenschaftlich beschrieben und in den 1950er Jahren vom amerikanischen Psychologen B.F. Skinner intensiv erforscht. Praktisch hatte die Menschheit damit bereits Jahrtausende gearbeitet – etwa beim Zurichten von Pferden und Hunden, die belohnt wurden, wenn sie auf ein Signal in der gewünschten Weise reagierten.

In dem nun in der Fachzeitschrift Nature Neuroscience veröffentlichten Versuch konditionierte man Mäuse dazu, Angst vor Acetophenongeruch zu entwickeln – einem Kirsch-Mandel-Duft. Dazu versetzten Brian Dias und Kerry Ressler von der Emory University School of Medicine in Atlanta den Tieren immer wieder Elektroschocks, während die umgebende Luft von Kirsch-Mandel-Aroma erfüllt war. Nachdem die Mäuse dadurch eine (über ein Zittern sichtbare) Angst vor Kirsch-Mandel-Duft entwickelt hatten, ließ man sie Nachkommen zeugen. Diese Nachkommen zeigten ebenfalls eine erkennbare Furcht vor dem Aroma, die unkonditionierten Mäusen nicht zu Eigen ist. Das Merkmal, das sich bei Kontrollgruppen nicht zeigte, wurde sogar an die Enkelgeneration weitergegeben.

Als sie die Gehirne der Acetophenongeruch fürchtenden Mäuse untersuchten, stellten die Wissenschaftler fest, dass sich sowohl bei den mit Elektroschocks konditionierten Tieren als auch bei deren Nachkommen eine Auffälligkeiten zeigte: In ihren Neuronen war ein Rezeptorprotein für die Erkennung von Gerüchen auffällig stark vertreten. Diese Eigenheit und die Angst vor Kirschduft führen Dias und Ressler auf Veränderungen an Methylgruppen auf einem Gen zurück, das man mit dem Geruchssinn in Verbindung bringt. Mit einem genauen Wirkmechanismus kann das Team allerdings nicht dienen, weshalb andere Neurologen und Genetiker sich noch skeptisch zeigen.

Aber auch ohne Entschlüsselung des exakten Vererbungsablaufs könnten die aus dem Versuch gewonnenen Erkenntnisse bald in die Behandlung von psychischen Erkrankungen wie beispielsweise Angststörungen einfließen: Hier müssen Mediziner möglicherweise auch in den Lebensläufen der Vorfahren nach traumatischen Ereignissen wie Hunger, Verstümmelung oder Vertreibung suchen, wenn sie alle infrage kommenden Ursachen finden wollen.