Vertane Chance: SPD- und CSU-Führung akzeptieren Koalitionsvertrag ohne bundesweite Volksabstimmungen

Letzte Hoffnung Mitgliederentscheid

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Im gestern unterzeichneten und der Öffentlichkeit präsentierten Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD sind die Pläne zu bundesweiten Volksabstimmungen, auf die sich CSU und SPD in einer Verhandlungs-Vorrunde geeinigt hatten, nicht mehr enthalten. Beobachter hatten dies bereits erwartet, nachdem sich Bundeskanzlerin Angela Merkel negativ zu direkter Demokratie äußerte.

Damit ist eine historische Chance vertan: Plant in der nächsten Legislaturperiode eine Koalition aus SPD, Grünen und Linken eine entsprechende Klarstellung im Grundgesetz, dann wird diese wahrscheinlich von einer Unions-Sperrminorität blockiert. Umgekehrt gilt das auch für den Fall, dass FDP oder AfD die Union in einer Koalition zu solch einem Gesetzentwurf drängen: Den würden dann SPD, Grüne und Linke voraussichtlich mit Verweis auf "Europafeindlichkeit" oder "Populismus" verhindern.

Ralf-Uwe Beck, der Vorstandssprecher des Vereins Mehr Demokratie, kritisierte den Koalitionsvertrag ohne bundesweite Volksabstimmungen scharf: Damit, so der evangelische Theologe, bleibe Deutschland im Vergleich mit den anderen europäischen Ländern weiter das "Schlusslicht" in Sachen direkter Demokratie und die Bürger weiter "Zaungäste", obwohl ihnen das Grundgesetz in Artikel 20 seit 65 Jahren Volksentscheide verspricht. "Wer, wie Angela Merkel, der Forderung nach einem Ausbau der Bürgerrechte eine solche Abfuhr erteilt", der stellt sich dem DDR-Bürgerrechtler zufolge "selbst auf die Seite der Ewiggestrigen".

Die letzte Hoffnung der Befürworter bundesweiter Volksabstimmungen liegt nun im Parteimitgliederentscheid, mit dem sich die SPD-Führung den Vertrag bis zum 14. Dezember von ihrer Basis genehmigen lassen will. Ob der Unmut dieser sozialdemokratischen Basis aber für ein Negativvotum ausreicht, ist fraglich: Vielen Mitgliedern der stark überalterten Partei liegen Zugeständnisse bei der Rente mehr am Herzen als die Möglichkeit, Regierungsentscheidungen zu korrigieren.

Allerdings hat die nun fast fertige Koalition aus SPD, CDU und CSU ohne bundesweite Volksabstimmungen auch keine Chance, weiter Kompetenzen an Brüssel abzugeben. Das stellte Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle bereits 2011 klar. Sollte es in der aktuellen Legislaturperiode deshalb zu noch umfassenderen Euro-Rettungsmaßnahmen kommen als bisher, dann könnte es sein, dass die Bundesregierung eine bundesweite Volksabstimmung abhalten muss, ohne dass dies im Koalitionsvertrag steht.