Schweizer gegen Freizügigkeit

Äußerst knapp haben die Schweizer für den Volksentscheid gegen "Masseneinwanderung" gestimmt und damit für Europa wohl ein Signal gesetzt

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Lange Zeit lagen Gegner und Befürworter des Volksentscheids gegen die "Masseneinwanderung" Kopf an Kopf. Am Nachmittag war bereits klar, dass die Mehrheit der Kantone für die Initiative steht, nun ist klar: Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent haben die Schweizer dafür gestimmt, das Freizügigkeitsabkommens mit der EU neu zu verhandeln und den Zuzug für alle Ausländer, auch für Grenzgänger, zu beschränken. Nur in den größeren Städten wie Zürich oder Basel wurde die Initiative mehrheitlich abgelehnt.

Es waren gerade einmal 19.500 Stimmen, die dem von der rechtspopulistischen SVP eingebrachten Volksentscheid zum Durchbruch in der direkten Demokratie der Schweiz verholfen haben. Allerdings lag die Wahlbeteiligung mit 56 Prozent sehr hoch. Der Nationalrat, alle anderen Parteien, die Gewerkschaften und vor allem auch die Wirtschaftsverbände haben versucht, die Schweizer von dem womöglich folgenschweren Schritt abzuhalten ( "Patriotische Aufrüstung nach innen". Es gab seit 1970 schon einige Abstimmungen über die Begrenzung des Zuzugs, die aber bislang keine Mehrheit gefunden haben. Es hat sich also die Stimmung in der Schweiz verändert. Angenommen wird, dass ein Grund für die Angst vor der "Masseneinanderung" ein "Dichtestress" sei, also zu wenig Raum für die Schweizer, steigende Kosten, überfüllte Straßen, zunehmende Verbauung.

Betroffen sein werden von der neuen Regelung, deren Details noch ausgearbeitet werden müssen, vor allem die Menschen aus der EU sein, die bislang ohne Genehmigung eine Arbeitsstelle in der Schweiz annehmen konnten ( Die Rumänen der einen sind die Deutschen der anderen). Mit der Ablehnung der Personenfreizügkeit setzen die Schweizer ein Signal für die anstehende EU-Wahl, denn in vielen Ländern treten EU-kritische oder Anti-EU-Parteien an, die sich auch gegen die Zuwanderung aus anderen EU-Ländern, wie dies beispielsweise die CSU gegenüber der angeblichen "Armutszuwanderung" aus Bulgarien und Rumänien machte.

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Jubel bei der SVP

"Das Volk ist viel sensibler als Bundesbern, wenn es um die Probleme durch Zuwanderung und Migration geht", so SVP-Präsident Toni Brunner. Der Bündner SVP-Nationalrat Brand fordert eine schnelle Umsetzung der Steuerung der Zuwanderer und geht davon aus, dass es mit der EU deswegen keine Probleme geben wird:"Ich gehe davon aus, dass die EU ein Interesse an der Fortsetzung der bilateralen Verträge hat." Und wenn in der EU der Volksentscheid nicht akzeptiert werde, müsse man sich fragen, "was für ein Vertragspartner das ist". Die SVP sieht ihren Erfolg auch als Kritik an der "Regierung", die Rechtspopulisten präsentieren sich auch als Alternative zur herkömmlichen Politik.

Justizministerin Sommaruga hat eine zügige Umsetzung des Beschlusses angekündigt, der für die eine "Weichenstellung" bedeutet. Man darf allerdings annehmen, dass die Personenfreizügkeit für Brüssel nicht verhandelbar ist, da es ein untrennbarer Bestandteil der bilateralen Abkommen ist. Eine Ausnahme würde sicher auch zu entsprechenden Wünschen anderer EU-Mitgliedsstaaten führen. Damit wird es nicht nur zu Spannungen mit Brüssel kommen, die ausländerfeindlichen Bewegungen und Parteien werden dadurch vor den EU-Wahlen auch Auftrieb erhalten. Fragt sich, ob die Personenfreizügigkeit ein Kernstück der europäischen Einheit bildet, also ob ein mögliches Rütteln zu einem Schwinden der Einheit führen könnte.