Anleihekäufe der EZB: Verfassungsgericht drückt sich vor Entscheidung

Man kann von Selbstentmündigung sprechen, dass Karlsruhe die Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof abschiebt

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Vielleicht werden die Geschichtsbücher irgendwann vom 7. Februar 2014 als einem historischen Tag sprechen, an dem auch das deutsche Verfassungsgericht die Souveränität Deutschlands abgegeben hat. Denn das höchste deutsche Gericht wird nicht über die umstrittenen und gefährlichen Anleihekäufe urteilen, sondern gibt erstmals eine Entscheidung an den Europäischen Gerichtshof ab und noch dazu diese Entscheidung!

Zwar wurde im Juni 2013 in Karlsruhe über die Klage verhandelt, doch nun soll offensichtlich das deutsche Grundgesetz nicht mehr von den Richtern interpretiert werden, die dazu berufen wurden. Dabei ist nach dem Grundgesetz die Budgethoheit des Bundestages "unantastbar", doch die wird über die Verbindlichkeiten, die aus den Aufkäufen resultieren können, klar in Frage gestellt.

Im Hintergrund steht die umstrittene Aussage vom Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB). Denn Mario Draghi hatte im September 2012 erklärt, die EZB sei bereit, "unbegrenzt Anleihen überschuldeter Euro Länder zu kaufen, um deren Zinsen zu senken". Dafür wurde das Programm "Outright Monetary Transactions" (OMT) geschaffen. Das Erstaunliche daran, dass die Richter den Schwarzen Peter angesichts der Tragweite der Entscheidung nach Luxemburg abschieben, liegt vor allem auch in der Begründung. Denn eigentlich gibt das Verfassungsgericht den Klägern recht. "Der OMT-Beschluss dürfte nicht vom Mandat der Europäischen Zentralbank gedeckt sein", meinen die Verfassungsrichter.

Zentralbank darf keine eigenständige Wirtschaftspolitik machen

Es gäbe "gewichtige Gründe dafür, dass er über das Mandat der Europäischen Zentralbank für die Währungspolitik hinausgeht und damit in die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten übergreift sowie gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung verstößt", so die Mitteilung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Richter verweisen auch darauf, dass die Zentralbank keine eigenständige Wirtschaftspolitik machen darf, sondern für die Geldwertstabilität zuständig ist. "Geht man - vorbehaltlich der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union – davon aus, dass der OMT-Beschluss als eigenständige und wirtschaftspolitische Maßnahme zu qualifizieren ist, so verstößt er offensichtlich gegen diese Kompetenzverteilung."

Der Ankauf von Staatsanleihen, was das Anwerfen der Notenpresse bedeutet, könne "zu einer erheblichen Umverteilung von Geldern zwischen den Mitgliedstaaten führen und damit Züge eines Finanzausgleichs annehmen". Doch das ist in den europäischen Verträgen "nicht vorgesehen", räumt auch das Verfassungsgericht ein.

Dass die Richter nur von einer Möglichkeit sprechen, macht klar, dass sie auch Möglichkeiten von Aufkaufprogrammen sehen, die vom Grundgesetz gedeckt sind. Um die Zinsen von Krisenländern zu senken, hat die EZB bis Oktober 2011 schon Staatsanleihen von Griechenland, Portugal, Spanien und Italien im Wert von etwa 200 Milliarden Euro gekauft.

Die Politisierung der Zentralbank

Doch von ihrer eigentlichen Aufgabe entfernt sich die EZB auch mit dem Öffnen der Geldschleusen immer weiter. Längst macht die EZB Konjunkturpolitik und betreibt auch, ohne dass es bisher zum unbegrenzten Anleihekauf kam, nach Ansicht von Experten längst eine verbotene Staatsfinanzierung. Irland ist ein schönes Beispiel, denn ohne die EZB-Politik hätte Irland niemals zur Refinanzierung an die Geldmärkte zurückkehren können.

Die Verschuldung ist seit der Rettung infolge der Bankenrettung in so gefährliche Bereiche explodiert, dass eigentlich nur noch ein Schuldenschnitt helfen kann. Aber auch das Haushaltsdefizit ist weiter enorm hoch. Nur durch das Doping der EZB konnte aus Irland ein "Erfolgsfall" gemacht werden.

Dass die EU-Kommission ganz anderer Meinung als die Verfassungsrichter ist, muss eigentlich nicht erstaunen, denn sie steht hinter der Politisierung der Notenbank, weshalb auch die europäische Bankenaufsicht bei ihr angesiedelt sein wird. Brüssel meint, der Anleihen-Kauf sei rechtmäßig. "Die Kommission hat bei mehr als einer Gelegenheit erklärt, dass sie zuversichtlich ist, dass die EZB - die ihr Mandat in völliger Unabhängigkeit ausübt - im Einklang mit EU-Recht handelt", sagte der Sprecher von EU-Währungskommissar Olli Rehn.

"Gericht entzieht sich der Verantwortung"

Rehn begrüßt, dass die Frage nach Luxemburg verwiesen wurde. Nach Ansicht von Experten hat das OMT-Programm vor dem Europäischen Gerichtshof deutlich mehr Chancen, abgenickt zu werden. Das Handelsblatt zitierte auch den Europarechtler von der Universität London, Gunnar Beck, der das Verhalten des Bundesverfassungsgerichts scharf kritisiert, weil sich das "Gericht der Verantwortung" entziehe und "die Kontrolle über die Einhaltung der deutschen Verfassung an eine überstaatliche Institution" abgebe.

Das stehe im Widerspruch zu bisherigen Entscheidungen, denn Karlsruhe habe bisher stets betont, "dass deutsche Souveränität nur unter Einhaltung des deutschen Grundgesetzes möglich ist".