Drogen? Alkohol? Rupert Murdoch?

Zum Tod von Amy Winehouse

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Man kann die Sache zumindest ursächlich mit Fug und Recht der Murdoch-Presse anhängen, welche die am Dienstag eingeäscherte Sängerin und Komponistin seit ihrem 23. Lebensjahr als wandelnden Haufen Elend durch das globale Dorf treiben ließ. Gemessen an der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellenden Unbarmherzigkeit des Boulevards, die sich langsam von genüßlichen Reportagen über angetrunkene Rüpeleien in Clubs bis zur Stilisierung der Sängerin zu einem mitleiderregenden Gespenst steigerte, könnte man sich sogar fragen, ob Amy Winehouse nicht sogar verblüffend lange durchgehalten hat.

Betrachtet man den Ablauf der mehrjährigen Veranstaltung, die von der von Skandalen unbedingt abhängigen Boulevard-Presse seit dem überragenden künstlerischen wie geschäftlichen Erfolg des zweiten Winehouse-Albums Back To Black um die körperlich wie seelisch zweifelsohne äußerst fragile Britin arrangiert wurde, scheint es nicht weit hergeholt, hier zumindest einen Grund für das wiederholte Scheitern von Winehouse‘ Bemühungen zu sehen, ihre schweren Probleme mit Heroin, Alkohol und Crack zu bewältigen.

Wer einmal mit von einem Abhängigkeitssyndrom belasteten Menschen zu tun hatte, weiß, welche Scham die Betroffenen bereits unter einem Bekanntwerden ihrer Problematik allein im Familienkreis empfinden; kaum vorstellbar, wie es sich anfühlen muss, mit verlässlicher Regelmäßigkeit immer wieder als begnadeter, aber hoffnungsloser Junkie der von wohligem Grusel erfüllten Weltöffentlichkeit vorgeführt zu werden.

Die Bild, seit Jahren erfolgreich darum bemüht, jede persönliche Katastrophe, jeden faulen Zahn, jedes tatsächliche Fehlverhalten und in letzter Konsequenz den vollständigen Untergang dieses Menschen auf regelrecht obszöne Weise in großen Schockbildern abzubilden, hatte am Sonntag ein wahres Meisterstück vollbracht. In einem Online-Artikel zum Tod von Winehouse wurde noch einmal „hämisch“ und „niederträchtig“ - so die Reaktionen angewiderter Leser auf den Text - vom „klapperdürren, schwankenden Wrack“ schwadroniert, während ein weiterer Text vom selben Tag geradezu tolldreist den üblen Umgang der Medien mit dem Star anprangert.

Auf der Website Allein gegen die Bild findet sich unter der Rubrik "fertig gemacht" eine aufschlussreiche Analyse der "journalistischen" Techniken, die von der Bild seit Jahren auf die "böse Amy" angewendet wurden. Die selbstverständlich mit keinerlei Beleg aufwartende Meldung von 2008, dass Amy Winehouse Windeln tragen würde, ist in ihrer bösartigen Idiotie bereits legendär.

Es sind wohl die gewohnheitsmäßigen Konsumenten solcher Berichterstattung, die derzeit das Internet mit geistreichen Kommentaren der Lesart "Sie war selber schuld!" oder gar "Sie hat es verdient!" überfluten. Es wäre interessant zu erfahren, ob sie ebenso kaltherzig argumentieren würden, wenn ihre eigene Schwester oder Tochter ein ähnliches Problem nach Hause brächte.

Weniger bösartig als eher schlaubergerhaft wirken hingegen die vielfachen Belehrungen, dass man um einen Musiker nicht wirklich trauern könne. Das ist grundfalsch. Menschen trauern um jedes Wesen, zu dem sie eine seelische, nicht zwangsläufig persönliche, Bindung aufgebaut haben. Dass Musik, vielleicht gerade Soul, oft als Mitteilung aus des Künstlers Innenleben aufgefasst wird, ist keine Spezialität des Falles Winehouse.

Jetzt, wo die Tragödie ihr Ende gefunden hat, ist es - sinnbildlich gesprochen - Zeit, die Revolverblätter auf den Altpapierhaufen zu werfen und Amy Winehouse wieder für ihre Arbeiten zu bewerten.

Ihr hinterlassenes Werk ist nicht gerade umfangreich. Zwei Alben, eine interessante, stilistisch aber noch unentschlossene Debut-Scheibe (Frank), vor allem Back To Black, eine wie schon der Vorgänger komplett von der Sängerin komponierten und getexteten, von Seelenfreund und Produzent Mark Ronson kongenial arrangierte Pop-Platte gewaltiger Dimension, die den Glanz einer längst vergangenen, seit Jahrzehnten nur noch von Mods und traditionellen Skinheads erinnerten Epoche schwarzer Musik zu neuem Leben erweckte: Die 1960er mit Bluebeat, DooWop, Northern Soul, Motown und Phil Spector.

Weiter stehen Unmengen von als Internet-Video kursierenden, glorreichen und vom Blues regelrecht triefenden Live-Auftritten zur Verfügung, deren Anzahl die der vergeigten Konzerte bei weitem übersteigt.

Wie gut Amy Winehouse in ihrem Metier wirklich war, zeigt sich besonders deutlich daran, dass es ihr ohne Mühe gelungen ist, den Elvis-Komplex - also das bislang grundsätzliche Unbehagen der afroamerikanischen Community gegenüber weißen Interpreten schwarzer Musik - in Wohlgefallen aufzulösen, was sich unter anderem darin äußerte, dass die Soul-Ikone Ronnie Spector (Be My Baby) längst Kompositionen von Winehouse in ihr Repertoire aufgenommen hat, während Produzenten-Legende Quincy Jones die Britin bat, mit ihm zu arbeiten. Die Reaktionen auf Winehouse‘ Tragödie reichen vom Zorn der Sängerin Rihanna ("I am SICK about this right now") bis zu "tiefer Traurigkeit" bei DefJam-Mogul Russell Simmons, der in seinem Statement ausführt: "She was an extraordinary talent who left us with tremendous gifts throughout her career."

Ähnlich emotional äußerten sich auch Hollywood-Größen wie der bestürzte Danny DeVito - "27 years old. Amy Winehouse dead. What the fuck, man. I dug her a lot. Very sad about this one." - oder Regie-Gigant Francis Ford Coppola: "I was heartbroken to learn ... To lose someone at that age is just really heartbreaking, and no doubt, now that she's gone, people will appreciate her work."

In ihrem besten Musikvideo beerdigt die Sängerin einen kleinen Sarg. Am Ende, und dem ist nichts hinzuzufügen, steht die Inschrift des Grabsteins: "Rest In Peace, Heart Of Amy Winehouse."

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Amy Winehouse (Bild: Karen Blue. Lizenz: CC-BY-SA 2.0)