Insert Coin

Das Berliner Computerspielemuseum hat die erste Episode eines Dokumentarfilms über die 8-Bit-Generation als Weltpremiere gezeigt.

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Retro-Computerspiele sind längst nicht mehr ein Phänomen, das nur diejenigen interessiert, die diese Technologien und Ästhetiken damals in ihrer eigenen Jugend kennengelernt haben und sich auch den unterschiedlichsten Motiven heute immer noch aktiv-spielend daran erinnern möchten. Spiele wie „Pacman“, „Donkey Kong“, „Pong“ oder „Break Out“ sind über die Jahrzehnte zu Icons der gesamten Computerspiele-Industrie geworden – einem Medienzweig, der prosperiert wie kein anderer – derart ikonisch, dass Disney dem Retro-Spiel in Kürze sogar einen abendfüllenden Animationsfilm widmet. Im Berliner Computerspielemuseum war nun die erste Episode des auf zwölf Stunden angelegten Dokumentarfilms „8-Bit Generation. Playing the Revolution“ in einer Welturaufführung zu sehen.

Die Gruppe um den Regisseur, Davide Agosta, ist für das Museum keine Unbekannte: Im Frühjahr war im Vorderraum eine Sonderausstellung mit dem Titel „ Komputing-Revolution“ zu bewundern, in welchem die aus Turin stammenden Marco Boglione, Cecilia Botta und Massimo Temporelli Mikrocomputer der ersten Generation – vom Apple I über den Altair 8800 bis zum IBM 5150 – ausgestellt hatten. Die Exponate stammten aus einem jüngst in Turin entstandenen Computermuseum; und in dessen Dunstkreis ist nun auch „8-Bit Generation. Playing the Revolution“ entstanden: Botta und Temporelli dienten dem Dokumentarfilm als Berater. Die erste Episode „Insert Coin“ berichtet von der Vorzeit des kommerziellen Computerspiels, den Vorläufern, die bis in die 1950er-Jahre zurück verfolgt werden. 1958 entstand im Rahmen eines Tags der offenen Tür am Brookhaven National Laboratory das Spiel „Tennis for Two“, realisiert auf einem Analogcomputer und einem Oszilloskop. Die Besucher konnten in der Seitenansicht einen lichtpunktgroßen Tennisball hin und her schlagen. Das Spiel gilt als der Urvater elektronischen Spielens, wenngleich die Technologie und Epistemologie dahinter (nämlich der Analogcomputer) aus einer ganz andere Richtung kommt.

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(Bild: Junk Food)

Im Film fragt sich ein Computerspiel-Historiker, ob Ralph Baer dieses Spiel vielleicht gesehen haben und so auf die Idee für seine Videospiel-Konsole „Odyssey“ gekommen sein könnte. Baer, der im Film wie zahlreiche andere Ingenieure auch zu Wort kommt, streitet diesen Einfluss ab. Ein zeitgenössischer Konkurrent Baers, Nolan Bushnell, hat hingegen gar keine Bedenken, die Idee für seine Firmengründung als „geliehen“ zu benennen: Er selbst war als Student am MIT, als dort Anfang der 1960er-Jahre auf einem PDP-1-Großrechner von jungen Informatikern, die heute als „Geeks“ bezeichnet werden würden, das Spiel „Spacewar!“ programmiert wurde. Steve Russel, der als Mastermind hinter dem Spiel gilt, berichtet im Film, wie es zur Idee kam und welchen Einfluss das Spiel auf das damalige Campusleben hatte. Von der Idee regelrecht besessen, ein solches Spiel für die breite Masse zur Verfügung zu stellen, arbeitete Bushnell jahrelang an einer Adaption, die schließlich Anfang der 1970er unter dem Titel „Computer Space“ erschien – und gar kein Computer war, sondern ein vollständig in TTL aufgebautes Single-Purpose-Spielgerät mit einem handelsüblichen TV-Gerät verbunden.

Basierend auf diesem technischen Erfolg begann die eigentliche Computerspiel-Geschichte, die eben vor allem auch eine ökonomische ist. Nach „Computer Space“ folgte „Pong“, zu dem Al Acorn humorvoll schildert, welche technischen Finessen es bei der Umsetzung der Idee in Elektronik zu berücksichtigen gab und was es mit dem angeblichen Mythos des aufgrund Kassenüberfüllung nicht mehr funktionierenden Pong-Automaten auf sich hatte. Dann der Eintritt von Steve Jobs und Steve Wozniak, die „Break Out“ für Atari erstellten (Woz erzählt in seinem unnachahmlichen Art, wie die Zusammenarbeit gestaltet war und welche großartigen Leistungen er vollbracht hat – ein Eigenlob, das ganz und gar nicht stinkt!). Der Film endet, kurz bevor Home-Pong und die Atari-VCS-Konsole die Bühne betreten und das Computerspiel damit endgültig in der Privatsphäre angekommen ist.

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(Bild: Junk Food)

Davide Agosta erzählt seine Geschichte als typische Ereignisgeschichte: Erst kam dieses, dann konnte jenes kommen, das wiederum der Vorläufer etwas anderen war. Das ist eine Möglichkeit, die Geschichte des Computerspiels zu betrachten, die so lange funktioniert, wie noch nicht jeder jede Anekdote kennt – was zumindest bei dieser Frühgeschichte beinahe der Fall ist. Dem Film helfen bei seiner Erzählung vor allem die talking heads: eine bunte Mischung aus Ingenieuren, Unternehmern, Historikern und Spielern (die erste Episode beginnt mit dem ehemaligen Weltmeister im „Defender“-Spielen). Mit teilweise etwas zu stark akzentuierender Musik unterlegte Montagen aus solchen Interviews, Aufnahmen von Spielgeräten und Found-Footage vergeht die dreiviertel Stunde der ersten Episode wie im Flug.

Indes leistet diese Vor- und Frühgeschichte des Computerspiels auch nicht mehr als jene Auseinandersetzungen, die seit einigen Jahren in Buchform zum Thema erhältlich sind. (Hier sei etwa auf das ganz ähnlich konstruierte „ The Ultimate History of Video Games“ von Steven L. Kent verwiesen.) Interessant wird es wohl ab der zweiten Episode des noch nicht in Gänze fertiggestellten Projektes. Dann kommen nämlich die Technologien zur Sprache, die für eine extreme Diversifizierung vom Computerspiel-Elektronik gesorgt haben: die Heimcomputer. Wann das Filmprojekt abgeschlossen ist, ist derzeit noch genauso ungewiss wie die Frage, in welcher Form es zu sehen sein wird. Wahrscheinlich erscheit ein Verkauf an das Fernsehen, das die zwölf Episoden im handlichen 45-Minuten-Format ausstrahlt. Die künstlerische Qualität des Films und die darin zu sehende Personage werden dafür sorgen, dass „8-Bit Generation. Playing the Revolution“ nicht unbeachtet bleiben wird.

P.S.: Das Spiel „Tennis for Two“ wird vom 13.7. bis 3.9.2012 als Analogcomputer-Implementierung im Rahmen einer Sonderausstellung über „Spiele(n) mit Physik“ im Berliner Computerspielemuseum zu sehen und zu spielen sein.