"Mein Wille geschehe!"

Das Recht auf den selbstbestimmten Tod, die deutsche Debatte und der sehenswerte Film "Satte Farben vor Schwarz"

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Jeder soll sein Leben beenden dürfen. Wer es nicht alleine kann, dem soll geholfen werden. Darum geht es im Kern in der Debatte um Freitod und selbstbestimmtes Sterben. Darum geht es auch in einem neuen Film: "Satte Farben vor Schwarz" von Sophie Heldman.

Es ist eine Provokation, wie man sie, erst recht in der Beiläufigkeit ihrer Inszenierung, im deutschen Kino noch nicht gesehen hat: Ein altes Ehepaar, gespielt von Senta Berger und Bruno Ganz, geht aus freien Stücken gemeinsam in den Tod. Das ist so schockierend wie nachvollziehbar, man kann darin die Utopie eines gemeinsamen Liebestods ebenso erkennen, wie die Geschichte zweier extremer Hedonisten, wie auch die ganz am Ende noch verpasste Emanzipation einer Ehefrau, die sich und ihr Leben immer im Verhältnis zu ihrem Mann definiert hat.

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(Bild: farbfilm verleih)

Zwar hat er Mann Prostata-Krebs, aber ob er wirklich so schnell daran sterben wird, ist unklar - Sophie Heldmans intimes Kammerspiel "Satte Farben vor Schwarz", der jetzt ins Kino kommt, bricht mit den zur Zeit im Kino gepflegten, irgendwie wohlgefälligen Bildern der "Best-Agers". Dafür erinnert die Geschichte an reale Fälle der jüngeren Zeit wie die gemeinsamen Tode des Ehepaars von Brauchitsch in der Schweiz im vergangenen Herbst oder des französischen Philosophen André Gorz und seiner Ehefrau.

Damit berührt der Film gleich mehrere aktuelle Debatten: Die um das - moralische, wie juristische - Recht auf den Freitod, die über Sterbehilfe und um Palliativmedizin (siehe Mitbestimmen über das eigene Lebensende): Kein Zuschauer kann sich, wenn er diesen beiden stolzen Menschen, die voller Haltung und seltsam gehobener Stimmung - "wie zwei römische Patrizier" schrieb ein Filmkritiker - zu ihrem letzten Abenteuer aufbrechen, noch vor der Frage drücken, wie er zum Verhalten der alten Leute steht.

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(Bild: farbfilm verleih)

In Deutschland tut man sich mit der Idee eines selbstbestimmten Todes und mit seiner Ermöglichung seit jeher besonders schwer - was vielleicht aus den bekannten historischen Abgründen heraus gut verständlich ist. Eine tabubelastete Dabatte hat aber noch nie geholfen. Die Realität sieht so aus, dass besser Betuchte in die Niederlande oder vor allem in die Schweiz fahren, wo die Gesetzeslage eine andere ist. Auch Ausländer dürfen dort selbstbestimmt sterben. Organisationen wie "exit" oder "dignitas" machen es praktisch möglich.

Aber ist solcher Sterbetourismus nötig und wünschenswert? Ist es wünschenswert, dass es in der Praxis diese Möglichkeiten doch nur für diejenigen gibt, die es sich leisten und noch organisieren können? Sollte es nicht ein Recht geben, auch über eigenen Tod, darüber, wie man sterben möchte selbst zu entscheiden. Es gibt keinen Grund, das Menschen vorzuschreiben.

Auch am langsamen Sterben von Menschen lässt sich gutes Geld verdienen

"Mein Wille geschehe!", das muss unter Bedingungen des säkularen, aufgeklärten Rechtsstaats die Unterwerfung unter das "Dein Wille geschehe!", unter göttliche Gebote, ersetzen.

Die moralische Ächtung des Freitods und die juristische Verfolgung ihrer Helfer muss aufhören. Man darf den Mut von Menschen bewundern, die den Freitod zu wählen. Es ist umgekehrt eine Schande, dass Betroffene immer noch Hilfe im Ausland suchen müssen. Höchste Zeit, dass Sterbehilfe hierzulande legalisiert wird und helfende Ärzte keine juristische Diskriminierung mehr fürchten müssen.

Allerdings: Solange die christlichen Kirchen und ihre erzkonservativen Helfershelfer, wie die "Deutsche Hospiz Stiftung" - sowie diverse Lobbyisten des medizinisch-industriellen Komplex', die am langsamen Sterben von Menschen gutes Geld verdienen - jede Art von Freitod und Sterbehilfe kategorisch ächten und den Wunsch nach einem selbstbestimmtem Tod als krankhaften Zustand pathologisieren - waren Sokrates, Seneca und Montaigne, waren Amery und Gorz verrückt? - und der Freitod weiter als Selbstmord verunglimpft wird, ist es dahin noch ein langer Weg.

Immerhin hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe im Sommer mit einem neuen Urteil zur Sterbehilfe zuletzt den Patientenwillen gestärkt. Der BGH gab die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe auf und entschied, dass auch das Abtrennen eines Beatmungsschlauchs straflos ist, wenn der Behandlungsabbruch vom Patienten verfügt wurde. Auch eine künstliche Ernährung muss gegen den Willen des Patienten nicht mehr fortgesetzt werden.

Pro & Contra: Selbstbestimmter Tod

Folgende Argumente sprechen für die grundsätzliche Ermöglichung des Freitods:

Der Mensch ist frei und soll es bleiben. Bis zum Ende. Anders gesagt: "Wir kommen aus ohne Gott." (Jean Amery)
Lebensverlängerung um jeden Preis ist unmenschlich
Unnötige Leiden sind unmenschlich
Tötung auf Verlangen ist ein menschlicher Akt

Beim Thema Sterbehilfe unterscheidet sich Deutschland juristisch (nicht aber faktisch, in ihren weltanschaulichen Einstellungen) von ihren europäischen Nachbarstaaten. Zwar findet eine klare Mehrheit, dass die Frage von Tod und Leben der individuellen Entscheidung des Einzelnen überlassen bleiben soll. Im Unterschied zu jenen Ländern scheut sich der Gesetzgeber, dem Mehrheitswillen Genüge zu tun - obwohl hier im Unterschied zu anderen Fragen der Wille der Minderheiten gar nicht tangiert würde.

"Mithin unterscheidet sich Deutschland von Nachbarstaaten wie den Niederlanden, Belgien oder der Schweiz einzig darin, dass bei uns jene Formen der Sterbehilfe offiziell geächtet und folglich schwieriger durchzuführen sind. Alles andere ist gleich: Sterbehilfe wird geleistet und in Anspruch genommen, die Gesellschaft hat Verständnis und nimmt die Handlungen hin."

(Matthias Kamann in der Welt am Sonntag)

Folgende Gegenargumente sind immer wieder zu hören:

Das christliche Argument: "Der liebe Gott. Der jeden liebevoll in der Hand hält: als sein Geschöpf. Ihm etwas geschenkt hat. Ein großes - nein das Größte, Unwahrscheinlichste. Nämlich das Leben. Er hat dich gesetzt in eine grüne Landschaft. Mit Essen, Trinken, Wärme, Liebe. Aber auch Kälte, Trauer, Einsamkeit, Leid. Um Gottes willen keinen Selbstmord! Es muss heißen: Herr, dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden." (Aus einem Leserbrief in der Welt)

Dieses Argument ist keines, denn es gilt nur für gläubige Christen. Aber niemand soll ja natürlich zum Freitod gezwungen werden.

Das Dammbruch-Argument. Es richtet sich nicht direkt gegen Freitod und Sterbehilfe, sondern gegen dessen vermutete Folgen. Es ist logisch fragwürdig, weil es eine Kausalität suggeriert, die nicht besteht. Ähnlich argumentieren Gegner der Freigabe von Haschisch damit, dies würde mehr oder minder zwangsläufig der Legalisierung harter Drogen Vorschub leisten. Die Freiheitsfrage - mit welchem Recht verbietet man Menschen etwas? - ist hier noch gar nicht berührt.

Das Argument des sozialen Drucks. Eine erleichterte Sterbehilfe bringe leidenden Menschen nicht mehr Freiheit, sondern setze sie unter einen subtilen Druck, ihre schwierige Situation durch Selbsttötung zu klären. Dazu ist zu sagen, dass der mögliche Missbrauch eines Freiheitsrechts nicht zum Argument für dessen Abschaffung oder Einschränkung werden sollte - und es in anderen Fällen auch nicht wird - sondern zum Argument für bessere Gesetze und Institutionen. Gerade wenn Freitod, Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen juristisch legitimiert und staatlich institutionalisiert würden, könnte man die Rechte der so betroffenen Menschen besser schützen.

Das philosophische Argument. Selbstbestimmung ist in Wirklichkeit ein schlichtes Wort für eine sehr komplizierte Materie. Das stimmt. Differenzieren und komplizierte Dinge kompliziert lassen, ist gut. Aber am Ende muss der Gesetzgeber entscheiden: Für und wider - und unter Weiterbestehen bestimmter Grauzonen. Selbstbestimmung mag eine verklärende Annahme sein. Aber es gibt sehr gute Gründe, durch alle Beschränkungen freier Selbstbestimmung hindurch an dieser Annahme festzuhalten. Die Alternative zur Selbstbestimmung wäre doch immer noch - Fremdbestimmung.

Literatur:

Svenja Flaßpöhler: "Mein Wille geschehe. Sterben in Zeiten der Freitodhilfe."; wjs Verlag, 2007 Matthias Kamann: "Todeskämpfe. Die Politik des Jenseits und der Streit um Sterbehilfe."; Transcript Verlag 2009