Könige im Game, Versager im Leben

Wilde Jagd nach der Vergangenheit: Das Fantasy-Filmfest legt in diesem Jahr einen markanten Schwerpunkt auf (Re-)Inszenierungen vergangener Epochen.

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Das Fantasy-Filmfest legt in diesem Jahr einen markanten Schwerpunkt auf (Re-)Inszenierungen vergangener Epochen. Besonders deutlich wurde dies bei zwei Filmen, die auf den ersten Blick recht unterschiedlich wirken, jedoch am selben Projekt arbeiten.

Die wilde Jagd

In "The Wild Hunt" geht es um Live-Rollenspiele, also solche, die nicht am Spielbrett oder am Computer gespielt werden, sondern in Verkleidung an gesondert ausgestatteten "Spielplätzen". Zu einem solchen Rollenspiel findet sich auch Lynn ein, die damit ihrem Alltag, insbesondere der schwierigen Beziehung zu ihrem Freund Erik, entflieht. Erik pflegt nämlich seinen schwerkranken Vater und hat genug Probleme, um die er sich kümmern muss, weil sein großer Bruder lieber selbst seine Zeit beim Rollenspiel verbringt.

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The Wild Hunt (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer)

Als Lynn jedoch andeutet, sie habe auf dem Spielset einen anderen Mann, fährt Erik ihr nach. Zunächst sträubt er sich dagegen, sich auf das gekünstelte Brimborium einzulassen und zieht nur deshalb eine Verkleidung an, damit er auf das Spiel-Areal darf. Als er jedoch feststellt, dass er ohne mitzuspielen nicht weiterkommt und die "entführte Wikinger-Prinzessin", die seine Freundin spielt, nicht zurückgewinnen kann, steigt er widerwillig ins Spiel ein. Sein fiktiver Kontrahent hingegen hegt durchaus auch reale amouröse Absichten in Bezug auf Lynn und beginnt, das Spiel-Szenario in eine Arena seiner Eifersucht zu verwandeln. Irgendwann ist es dann soweit, dass die Schaumstoff-Schwerter gegen stählerne Klingen ausgetauscht werden und aus dem Spiel blutiger Ernst wird.

Einmal abgesehen davon, dass "The Wild Hunt" die üblichen Klischees der Verwechslung von Spiel und Ernst kolportiert und seinen Horror aus einem real gewordenen "Killerspiel" rekrutiert, ist das Motiv der Realitätsflucht in ein Spielszenario überaus wirkungsvoll umgesetzt. Der krasse Gegensatz der im echten Leben nicht selten gescheiterten Existenzen, die sich im Spiel zu Königen und Herrschern "aufspielen" können, ist eines der bitteren Motive des Films. Erstaunlich ist dabei aber auch mit welch überbordendem Sinn für Pastiche und Kitsch die Spielkonstrukteure zu Felde ziehen.

Da werden überkommene Klischees des dunklen Mittelalters an Tolkien'sche Literaturmotive gekoppelt, eine vor Pathetik triefende Sprache, die so - außer auf heutigen Mittelalterjahrmärkten - nirgends gesprochen wurde und Re-Inszenierungen von Monster-Legenden (wie das titelgebende der "wilden Jagd") gehen dort Hand in Hand. Die Wellen von Fremdscham, von denen man als Außenstehender beim Anblick dieser grotesken Anhäufung von historischen und fiktiven Versatzstücken überspült wird, verdoppeln sehr gelungen die Gefühle des Nicht-Mitspielers Erik. Wie er dringen wir als Außenstehende, als Spielverderber ein - und wie ihn beschleicht uns dabei mehr und mehr die Angst, dass hinter dem Spiel eben mehr steckt als nur "ein Spiel" - nämlich auch ein Seinsmodus.

The Christian Death

"Black Death" ist der zweite Film, der sich am vierten Festivaltag mit der "dunklen Epoche", dem Mittelalter, auseinandersetzt. Wie der Titel bereits andeutet, geht es darin um die Pestepidemie, die im frühen 14. Jahrhundert in Europa gewütet hat. Die Filmhandlung ist in England angesiedelt, wo die Krankheit bereits alle Ortschaften erreicht und zahllose Opfer gefordert hat. Weil man das Treiben eines Totenbeschwörers in einem seltsamerweise verschont gebliebenen Ort vermutet, macht sich eine kleine Schar gottesfürchtiger Ritter auf die Suche nach diesem, begleitet von einem jungen Kloster-Novizen, der ihnen auf dem Weg Beistand leisten soll.

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Black Death (Bild: Ausschnitt aus dem Trailer)

Bald erreichen sie eine Sumpflandschaft, in deren Mitte sich jene menschliche Siedlung befindet, die auf wundersame Weise von der Seuche verschont geblieben ist. Den Grund dafür finden sie schnell heraus: Es handelt sich ausnahmslos um Häretiker, die dem christlichen Gott abgeschworen haben, sich auf keinerlei Aberglauben einlassen, seltsamerweise aber offenbar doch über die Zauberkraft verfügen, Tote wieder auferstehen zu lassen. Für die Ritter ist klar, dass in deren Treiben das Grundübel der Seuche zu suchen ist. Einziges Problem: Die Ritter sind hoffnungslos in der Unterzahl und nachdem sie ihren Auftrag offenbart haben, werden sie vor die Wahl gestellt: Gott abschwören oder sterben.

Christopher Smith hat in einem Q&A nach Ende des Films hervorgehoben, dass ihm die Indifferenz der Filmhandlung besonders wichtig ist: Weder soll das Christentum verdammt noch die Häretiker als bloße Ketzer diffamiert werden. Damit suggeriert sein Film in gewisser Weise einen dokumentarischen Gestus, wenngleich sich das, was er zeigt, so wohl niemals zugetragen haben wird. Die Indifferenz der Story spiegelt sich auch in der Charakterzeichnung. So ist man sich in den seltensten Fällen klar über die Entwicklung einer Figur; grundsätzliche "Typen", wie "den Held" oder "den Schurken" gibt es in "Black Death" nicht.

Das Bild vom Mittelalter als einer Zeit voller Gewalt, christlichem Fanatismus und Unvernunft, dem Historiker wie Mediävisten seit Jahrzehnten erfolglos widersprechen, wird allerdings trotz dieser grundsätzlichen Indifferenz auch in "Black Death" weiter tradiert. Ins Zentrum der Handlung zwei augenscheinlich gemäßigte Figuren - den jungen Mönch und die Anführerin der Häretiker - zu stellen, setzt diesem Bild nur wenig entgegen, wie man im Finale erfahren darf.