Arktis: Eis steuert auf neuen Minus-Rekord zu

Die Eisdecke auf dem arktischen Ozean ist so klein wie nie zuvor seit Menschengedenken und wird vermutlich noch einige Wochen weiter tauen. Auch die Schneebedeckung erreicht Rekordtiefstand

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Es ist noch einen ganzen Monat hin, bevor die Sonne über der Arktis so tief gesunken ist, dass das Eis auf dem dortigen Ozean wieder zu wachsen beginnt. Aber schon jetzt ist die Bedeckung so weit zurückgegangen wie nie zuvor. Es gibt verschiedene Methoden, das Meereis zu vermessen, und eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Gruppen, die sich damit beschäftigen. Und die ersten melden jetzt, dass das bisherige Minimum unterschritten wurde.

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Jahresgang der Eisfläche auf den Meeren der nördlichen Hemisphäre (Bild: Polar Research Group University of Illinois at Urbana-Champaign)

Nach den Daten der Polar Research Group der University of Illinois at Urbana-Champaign brachte es die reine Eisfläche am Montag nur noch auf 2,844 Millionen Quadratkilometer. Das ist bereits 56.000 Quadratkilometer weniger als im Vorjahr, dem bisherigen Rekordhalter, obwohl die Eisfläche vermutlich noch bis Mitte September oder eventuell etwas länger zurück gehen wird.

Das Eis auf dem arktischen Ozean ist seit jeher einem starken Jahresgang unterworfen. Im Sommer, wenn die Sonne für viele Wochen nicht hinterm Horizont verschwindet, zieht es sich zurück; im Winter wächst es wieder. Allerdings führt die globale Erwärmung, die in der Arktis, wie von den Klimamodellen vorhergesagt, überdurchschnittlich ausfällt, dazu, dass sich das Eis im Sommer immer weiter zurückzieht.

Noch in den 1990er Jahren war der größere Teil des arktischen Ozeans von mehrjährigem Eis bedeckt, das im Sommer an der Oberfläche taute und im Winter von unten nachwuchs. Inzwischen ist der größere Teil des Eises nur noch ein- oder zweijährig und damit entsprechend dünn. Dadurch kann es eher durch Wind und Wellen zerbrochen werden, was das Schmelzen beschleunigt. Wie berichtet hatte Anfang August ein ungewöhnlich starker Sturm entsprechend den Prozess des Eisschwundes beschleunigt. Im letzten Jahr fuhr zum Beispiel ein deutsches Forschungsschiff, die "Polarstern", durch das Eis zum Nordpol und berichtete von ungewöhnlich dünnem Eis, das man auf der Strecke vorgefunden hatte.

Primäre Ursache des Eisschwundes ist ganz offensichtlich die Erwärmung, die seit dem Beginn der Satellitenmessungen in den 1970ern die jährlichen Minima, die für gewöhnlich um Mitte September erreicht werden, zunehmend kleiner ausfallen lässt. 2005 wurde zum Beispiel der bis dahin niedrigste Wert der Eisfläche mit 4,09 Millionen Quadratkilometer erreicht. 2006 waren es 4,03, 2007 2,92, 2008 3, 2009 3,42, 2010 3,07 und 2011 2,9 Millionen Quadratkilometer (auf der Seite Cryosphere Today findet sich eine interaktive Grafik, aus der sich die jeweiligen Bedeckungswerte ablesen lassen).*

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Schwindsüchtige Eisdecke auf dem arktischen Ozean (Bild: Polar Research Group University of Illinois at Urbana-Champaign)

Der sommerliche Rückzug des Meereises schafft es inzwischen regelmäßig im August und September in die Schlagzeilen. Weniger bekannt ist, dass sch auch die Schneedecke immer weiter zurückzieht. Auch das ganzjährig von Schnee bedeckte Gebiet wird immer kleiner. Die Schneegrenze liegt heute im Durchschnitt rund 800 Kilometer weiter nördlich als noch 1985, schreibt Martin Rodger auf dem Arctic Sea Ice Blog. Allein in diesem Jahr sei sie um rund 115 Kilometer weiter nach Norden gerückt.

Da Schnee und Eis eine deutlich höhere Reflektivität haben als Wasser- oder Landoberflächen, bedeutet ihr Rückzug, das während der Sommermonate immer mehr zusätzliche Energie in Form einfallender Sonnenstrahlen im Klimasystem gespeichert werden kann. Dass ist besonders effektiv in den Wochen um die Sommersonnenwende am 21. Juni, wenn die Sonne im Norden am höchsten steht und ihre Einstrahlung daher am intensivsten ist. Insofern ist der Rückzug der Schneedecke, der im Frühsommer bisher deutlich ausgeprägter als der Eisrückgang ist, aktuell sogar noch folgenreicher für die Energiebilanz des Planeten.

* Für den Laien manchmal etwas verwirrend ist, dass verschieden Forschergruppen mit ganz unterschiedlichen Werten hantieren. Das liegt daran, dass die einen versuchen, nur die eigentliche Eisfläche zu ermitteln, wie etwa die Polar Research Group, während andere, wie das ebenfalls US-amerikanische National Snow and Ice Data Center, die Eisausdehnung berechnen, womit die Fläche gemeint ist, die mit mindestens 15 Prozent Eis bedeckt ist.