Hochwasser: Das Menetekel an der Wand

Nach nur elf Jahren das nächste "Jahrhunderthochwasser". Überschwemmungen sind eine - vergleichsweise harmlose - Warnung vor dem, was noch kommen kann

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Nein, natürlich kann man nicht einzelne Extremereignisse direkt dem Klimawandel zuordnen. Jedenfalls noch nicht. Aber Klimawissenschaftler arbeiten daran, die statistischen Methoden zu verfeinern. Denn eines ist klar: Je wärmer es im globalen Mittel wird, desto mehr verschiebt sich der Maßstab für den Normalfall, das heißt, Ereignisse, die heute noch als besonders extrem gelten, werden wahrscheinlicher. Das betrifft nicht nur Hitzewellen, sondern auch Niederschläge: Denn je wärmer es ist, desto mehr Feuchtigkeit kann die Luft aufnehmen und zur gegebenen Zeit abregnen lassen. In Deutschland werden darunter besonders die Gebirgsregionen zu leiden haben wie derzeit das Voralpenland und das Erzgebirge, weil sich dort die Wolken oft stauen.

Wenn es aber im gegenwärtigen Fall einen Zusammenhang zum Klimawandel geben sollte, dann wird er eher im Verhalten des sogenannten Jetstreams zu suchen sein, eines Bandes starker Winde in einigen Kilometern Höhe. Schon im März hatte seine ungewöhnliche Lage Mitteleuropa ein frostiges Frühjahr beschert. Nun sorgte er wochenlang dafür, dass einerseits polare Kaltluft weit nach Süden strömte und an dessen Ostflanke feucht-warme Luft aus dem Mittelmeerraum über die Alpen kam. Einige Wissenschaftler sehen einen Zusammenhang zwischen der Abnahme des Meereises auf dem arktischen Ozean und den Veränderungen im Jetstream, doch ihre Theorien sind neu und noch nicht allgemein akzeptiert.

Man kann natürlich warten, bis auch diese Frage geklärt ist. Man kann weiter Politiker wählen, die die Energiewende teuer rechnen, das Erneuerbare-Energiengesetz zerschlagen und neue Kohlekraftwerke aus Klimaschutzfonds finanzieren wollen. Man kann weiter mit dem SUV zum Bäcker fahren und so tun, als sei nichts geschehen.

Aber man sollte zumindest wissen, dass das Klimasystem sehr träge ist und ein langes Gedächtnis hat. Die vollen Auswirkungen der erhöhten Treibhausgaskonzentrationen sind immer erst einige Jahrzehnte später zu spüren, die Eisschilde auf Grönland und in der Antarktis brauchen sogar etliche Jahrhunderte, bis sie sich dem wärmeren Klima angepasst haben.

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Hellblau eingefärbt sind die Landflächen, die weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel liegen. Screenshot von http://flood.firetree.net/ (Bild: Floodmap)

Ob also das aktuelle Hochwasser, das wohl in Teilen Bayerns sogar noch das "Jahhunderthochwasser" von 2002 übertreffen dürfte, nun direkt und zweifelsfrei dem Klimawandel zugeordnet werden kann oder nicht: Es sollte auf jeden Fall als ein weiteres Menetekel gesehen werden, als eine Warnung vor dem, was da noch kommen wird. Irgendwann wird es auch an der Nordsee nicht mehr reichen, einfach die Fluttore zu schließen. Irgendwann wird sich nicht nur in Flusstälern, sondern auch an der Küste die Frage stellen, wo Land aufgegeben werden muss. Hier kann man sich anschauen, wie der Küstenverlauf in Norddeutschland aussehen würde, wenn die Gletscher auf Grönland (~7 Meter), auf Grönland und der Westantarktis (~12 Meter) oder auf Grönland und der vollständige Antarktis (~50 Meter) verschwinden.

Das dauert natürlich seine Zeit und wird eine Sache von Jahrhunderten sein. Aber einen Meter Meeresspiegelanstieg bis zum Ende des Jahrhunderts halten die meisten Wissenschaftler für wahrscheinlich, wobei mancher auch eher zu zwei Metern tendiert. Und danach würde es auf jeden Fall weiter gehen. Wollen wir unseren Enkeln und Urenkeln tatsächlich eine solche Welt hinterlassen?