Fall Edathy: Staatsanwaltschaft: "hoffnungslos in der Hinterhand"

Möglicherweise auch Ermittlungen gegen weitere Politiker und Polizeibeamte – Edathys Anwalt war frühzeitig informiert

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Selten hat man von einer Staatsanwaltschaft bei einer Pressekonferenz ein so lautes Zähneknirschen gehört, wie es am Freitagvormittag in Hannover der Fall war: "Die Staatsanwaltschaft war bei der Aufnahme der Ermittlungen hoffnungslos in der Hinterhand." Die Aussage stammt aus dem Mund des leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Fröhlich, der sich im Fall Sebastian Edathy den Fragen der Presse stellte. Und, man kann Fröhlich nicht verübeln, dass er sauer ist.

Was der Behördenleiter bei der Pressekonferenz zu sagen hatte, führt direkt zu einer Polit-Affäre, die noch ganz am Anfang steht und schon jetzt den Rücktritt eines Bundesministers fordert. Fröhlich, der versuchte, die Fassung zu bewahren und geduldig die Fragen der anwesenden Pressevertreter zu beantworten, verdeutlichte mit seinen Antworten, dass der Fall Edathy aus zwei Komponenten besteht:

Auf der einen Seite steht ein Verhalten von Edathy, das aus Sicht der Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den ehemaligen Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses rechtfertigt, auf der anderen Seite steht das, was man geradezu als eine Sabotage der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bezeichnen könnte.

Tagesspiegel.de fragt in einem aktuellen Artikel: "Wusste die halbe Bundesregierung seit Monaten davon, dass gegen den SPD-Abgeordneten Edathy ermittelt werden sollte?" Was den Anschein hat, als handele es sich dabei um eine zugespitzte Frage, die sich etwas reißerisch ganz gut im Lead eines Artikels macht, hat einen sachlichen Hintergrund: Auf der Pressekonferenz in Hannover wurde deutlich, dass eine ganze Reihe von Personen und Behörden von dem "Fall Edathy" wussten, noch bevor es die im November mit den Ermittlungen betraute Staatsanwaltschaft erfuhr.

Bizarrer Höhepunkt des Informationsvorsprung: Selbst der Anwalt von Edathy musste frühzeitig Bescheid gewusst haben. Er rief bei der Staatsanwaltschaft an und erkundigte sich "relativ kryptisch", wie Fröhlich sagte, in Bezug auf Ermittlungen gegen seinen Mandanten Edathy.

"Er betonte fortwährend, dass Gerüchte an seinen Mandanten gedrungen wären, dass es zu einem Ermittlungsverfahren kommen würde", sagte Fröhlich. Allerdings betonte der Oberstaatsanwalt, ihm sei nicht klar, über welche Informationen der Anwalt tatsächlich verfügt habe.

Fröhlich sagte außerdem, dass sowohl die Staatsanwaltschaft Berlin als auch sein Haus derzeit prüfen, ob Ermittlungen gegen weitere Funktionsträger eingeleitet würden. Zunächst müssten allerdings auch die Zuständigkeiten geklärt werden. Fröhlich sagte weiter, er habe in seinem Hause angeordnet, gegen jeden Ermittlungsverfahren aufzunehmen, der sich in der Sache gesetzeswidrig verhalten habe. "Das betrifft auch Beamtinnen und Beamten aus dem Kreise der Polizei."

Auch brisant: Ende Januar habe die Staatsanwaltschaft Hannover in einem Schreiben den Bundestagspräsidenten von den Ermittlungen informiert. Dies sei der rechtlich korrekte Weg. Allerdings: Das Schreiben ging erst knapp eine Woche später beim Bundestagspräsidenten ein. Am 7. Februar legte Edathy plötzlich sein Bundestagsmandat nieder.

"Natürlich frage auch ich mich, wie dieses zeitliche Nähe zu erklären ist", sagte Fröhlich auf der Pressekonferenz.

Unklar ist derweil noch immer, ob Edathy aus strafrechtlicher Sicht überhaupt etwas vorgeworfen werden könne. Fröhlich sagte, man befinde sich in Sachen Edathy in einem "Grenzbereich", es würde weiter ermittelt.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, will Bundeslandwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich vorerst im Amt bleiben. "Sollte die Staatsanwaltschaft zu anderen Ergebnissen kommen und ein Ermittlungsverfahren aufnehmen, werde ich mein Amt zur Verfügung stellen. Ich war davon überzeugt, dass ich politisch wie rechtlich richtig gehandelt habe."