"I am not a man. I am Cantona"

Blog aus Cannes: Eric Cantona, der Zen-Meister des Fußballs, im neuen Film von Ken Loach

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Er heißt Eric, ist fanatischer Fan von Manchester United und von Beruf Briefträger. Seit neuestem leidet er an Depressionen, und wer das Reihenhaus im tristen Arbeiterviertel von Manchester sieht, versteht warum. Im Schrank stapeln sich Briefe, die er nicht ausgetragen hat. In der Betriebs-Psychogruppe, die es auch bei der britischen Post gibt, wird ihm und seinen Arbeitskollegen vorgeschlagen, sich ein Vorbild und Idol zu wählen. Eine illustre Runde kommt da zusammen: Ghandi, Mandela, Castro, Sinatra, Sammy Davis Jr. Eric wählt seinen Namensvetter, er wählt den Franzosen Eric Cantona, der von 1992 bis 1997 bei Manchester United spielte.

Das ist die Ausgangssituation von Ken Loachs neuem Film "Looking for Eric", der jetzt bei den Filmfestspielen von Cannes Premiere hatte. Ken Loach ist berühmt für politisch engagierte Arbeiterdramen aus liberal-trotzkistischer Perspektive. Das Hoch auf die Arbeitersolidarität gibt es auch hier, aber im Zentrum des Film steht die poetische Überschreitung der Wirklichkeit. Denn ManU-Fan Eric, der im Schlafzimmer ein lebensgroßes Poster seines Idols Eric Cantona an der Wand hat, raucht einen Joint zuviel, da steht Cantona plötzlich leibhaftig in seiner Küche. Es ist der Coup von Loach, dass es ihm gelungen ist, den Spieler im Ruhestand für die Leinwand zu reaktivieren, Cantona also dazu zu gewinnen, sich selbst zu spielen.

cantona.jpg
(Bild: SIXTEEN FILMS)

Cantona tut das mit einer Präsenz und einem Charisma, das alles andere hier in den Schatten stellt. Eigentlich ist "Looking for Eric" ein langweiliger Film, allzu leichte, seichte Kost, die längst bekannte Loach-Themen unoriginell variiert und wiederholt. Durch Cantona aber wird es großes Kino.

Cantona wird zum persönlichen Trainer der Hauptfigur, des Losers Eric, der diesen - wie einst Bogart die Woody-Allen-Figur in "Play it again, Sam" - mit Rat und Tat unterstützt. Bei Loach wirkt Cantona wie ein cool-relaxten Zen-Meister, der im Dutzend Weisheiten abfeuert wie "Without danger one cannot get beyond danger". Oder: "Surprise first. If they are strong on the right, you go left. But not always." Oder: "There is no such word as 'can't.'" Oder: "You have to trust your team mates. Always." Oder: "La plus noble de vengeance - c'est le pardonner." Am Ende des Films ist man überzeugt: "I am not a man. I am Cantona."

Am wirkungsvollsten waren aber immer noch die Ausschnitte mit den schönsten Szenen aus Cantonas Fußballerkarriere. Sein schönster Moment? "Es war kein Tor. es war ein Pass im Spiel gegen die Tottenham Hotspurs." Auf großer Leinwand denkt man da: Hätte Loach doch einfach eine Dokumentation über Cantona gedreht.