Wiederaufnahme der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat?

Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger diskutiert mit Kritikern der Einzeltäterthese

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Am 26. September 1980 wurden 13 Menschen bei der Explosion einer Rohrbombe am Haupteingang des Oktoberfest-Geländes getötet und 211 weitere zum Teil schwer verletzt. Das Attentat war der verheerendste Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Bundesanwaltschaft und das bayerische Landeskriminalamt kamen in ihren Ermittlungen zu dem Schluss, der rechtsextremistische Bombenleger Gundolf Köhler sei ein Einzeltäter gewesen. Die Kritik an dieser Sicht reißt jedoch seitdem nicht ab. Nach wie vor werden an die 900 Spurenakten, in denen wichtige Zeugenaussagen protokolliert sind (die Gundolf Köhler zum Teil eindeutig nicht als Einzeltäter beschreiben), im Archiv des bayerischen Landeskriminalamts eingelagert und nicht in das Dossier der Hauptakten der Generalbundesanwaltschaft aufgenommen.

Am 2. Oktober hat nun Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in München (und in Anwesenheit von Ignatz Platzer, der bei dem Anschlag zwei Kinder verlor) eine Liste mit 1200 Unterschriften zur Wiederaufnahme der Ermittlungen für das Oktoberfestattentat entgegengenommen. Unterschrieben haben unter anderem Dieter Hildebrandt, Josef Bierbichler, Konstantin Wecker, die als "Biermöslblosn" bekannten Gebrüder Well, DGB-Chef Michael Sommer und der Autor Gert Heidenreich.

In seinem Eröffnungsstatement erklärte Bernhard Schindlbeck, der die Unterschriftenaktion initiiert hatte, dass das Attentat und seine Hintergründe wegen des Fehlverhaltens der ermittelnden Behörden nicht richtig aufgeklärt worden seien. Man habe viele Spuren und Zeugenaussagen, welche die Einzeltäterthese nicht stützten und auf eine von Rechtsextremen organisierte Tat hindeuteten, einfach unter dem Tisch fallen lassen. Dadurch sei aber nicht nur den Opfern und ihren Hinterbliebenen, sondern auch dem Rechtsstaat gegenüber großes Unrecht geschehen, denn es wäre eines Rechtsstaates unwürdig, ein so großes Verbrechen unaufgeklärt zu lassen.

Deswegen habe man beschlossen, eine öffentliche Unterschriftenaktion mit einem offenen Brief an die Justizministerin zu schreiben, in dem sie aufgefordert wird, über die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufzunehmen. Üblicherweise würde darauf immer entgegnet, dass eine Wiederaufnahme nur infrage käme, wenn neue Spuren auftauchen würden, die aber nicht vorlägen. Dies wäre aber in dieser Form nicht richtig, denn es ginge weniger darum, neue Fakten auf den Tisch zu legen, als darum, die bereits aufgenommenen Spuren und Zeugenaussagen richtig zu würdigen, wie es in einem ordentlichen Ermittlungserfahren geschehen hätte müssen. Klaus Hahnzog vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof betonte ebenfalls die eklatanten Lücken im damaligen Ermittlungsverfahren und erinnerte daran, dass die vor Jahren vernichteten Asservate, heutzutage problemlos weitere Aufschlüsse über den oder die Täter geben würden.

Der BR-Moderator Ulrich Chaussy, der mit seinem Buch Oktoberfest - Ein Attentat an der Widerlegung der offiziellen Einzeltäter-Version des Verbrechens maßgeblichen Anteil hat, erklärte erst einmal sein Verständnis für die Ministerin, die in einer schwierigen Situation sei, denn die Generalbundesanwaltschaft unterlege zwar ihrer Aufsicht, aber der Eingriff in die unabhängige Justiz sei für eine liberal denkende Ministerin eine denkbar unangenehme Maßnahme.

Gleichwohl wären die Erfahrungen, die er mit der Generalbundesanwaltschaft während seiner Recherchen gemacht hätte, in negativer Richtung aufschlussreich gewesen: Nach einem Interview mit dem damaligen Generalsbundesanwalt Rebmann hätte dieser ihn aufgefordert, selber den Täter zu finden. Dies sei aber nicht die Aufgabe des Journalisten, sondern der Behörden. 2008 habe er erneut an die Generalbundesanwaltschaft geschrieben und darum gebeten, die Asservate gentechnisch untersuchen zu lassen. Darauf sagte man ihm, diese seien bereits 1997 vernichtet worden. Insgesamt stand die Bundesanwaltschaft Chaussy zufolge Versuchen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens ins Gespräch zu bringen, sehr distanziert gegenüber. Dies wäre bei dem blutigsten Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik unverständlich.

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(Bild: Telepolis)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger betonte ihr Verständnis dafür, dass Leute darum kämpfen, das Verbrechen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, und bestätigte, dass es offene Fragen gibt. Sie werde die Unterschriftenliste deshalb an die Bundesanwaltschaft weitergeben. In dieser Legislaturperiode habe sie auch intensive Gespräche mit dem SPD-Bundestagsabgeordneten Peter Danckert geführt, der sich ebenfalls mit diesem Thema beschäftige.

Ihre eigenen Möglichkeiten, so die Justizministerin, seien in dieser Sache jedoch begrenzt. Sie könne deshalb in keiner Form irgendwelche Zusagen für eine Wiederaufnahme abgeben. Es gebe zwar ein Weisungsrecht, das jedoch kollidiere mit der Unabhängigkeit der Justiz, die ein hohes Rechtsgut sei. Aber natürlich hätte sie zur Kenntnis genommen, dass aus der Sicht der Unterzeichner die Ermittlungen nicht zu Ende geführt worden wären. Zudem habe sie Hochachtung davor, wie couragiert und intensiv man sich mit dem mehr als 30 Jahre zurückliegenden Fall befasse.

Ulrich Chaussy lobte daraufhin die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses und regte an, die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat ebenfalls einem parlamentarischen Ausschuss zu überantworten. Leutheusser-Schnarrenberger entgegnete darauf, dass ein Untersuchungsausschuss nicht von den Ministern, sondern von den Parlamentariern eingesetzt wird. Einige Abgeordnete wären sicher für eine solche Maßnahme, allerdings sei es schwierig, Jahrzehnte nach dem Attentat solch ein Verfahren in die Wege zu leiten.

Der SPD-Landtagesabgeordente Florian Ritter erklärte, dass sich der Bayerische Landtag in einer Resolution vor zwei Jahren einstimmig dafür aussprach, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Es habe zudem eine Initiative gegeben, die bei den verschiedenen Behörden lagernden Akten an zentraler Stelle zusammenzufassen, die jedoch an bürokratischen Hürden gescheitert sei. Außerdem wies er darauf hin, dass im Bayerischen Innenministerium nach Ablauf einer gewissen Frist üblicherweise ein Teil der Akten vernichtet wird. Diese Aufbewahrungsfrist würde bald enden - und vielleicht, so Ritter, wäre es der Ministerin möglich, sich dafür einzusetzen, dass die Aktenbestände in Gänze erhalten blieben. Dies wäre für zukünftige Recherchen unerlässlich und würde nach seiner Auffassung auch nicht die Unabhängigkeit der Gerichte tangieren.

An dieser Stelle ergänzte Ulrich Chaussy, dass die Akten in Koblenz insofern große Lücken hätten, als nicht unerhebliche Teile der Spurenakten des Landeskriminalamtes dort nicht aufgenommen worden wären. Wenn nun die Bundesstaatsanwaltschaft diese Akten zu den Hauptakten nehmen würde, könnten diese zum einen als Ganzes eingesehen werden und zum anderen könnte man der Gefahr begegnen, dass womöglich relevante Akten vernichtet werden.