"Irreführung der öffentlichen Meinung"

Leipziger Wissenschaftler widersprechen Fluggesellschaften. Auch Pilotenvertreter verteidigen Flugverbot

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Der untere Luftraum über Deutschland ist voraussichtlich bis 14 Uhr noch gesperrt, meldet die Deutsche Flugsicherung. Gut möglich, dass die Sperrung noch verlängert wird, denn beim Deutschen Wetterdienst heißt es, dass der Luftraum über Deutschland noch den ganzen Tag vom Boden bis in sechs Kilometer Höhe durch Vulkanasche beeinflusst sein wird. Erst in der Nacht auf den Mittwoch werde die Aschewolke aus dem äußersten Norden abgezogen sein. Aber für den größeren Teil des Landes scheint auch dann noch keine Besserung in Sicht: "Die weiterhin vom Vulkan ausgestoßene Aschewolke wird über Nordirland, England und das westliche Frankreich in die südlichen Teile Deutschlands verlagert."

Flüge nach dem Sichtflugverfahren sind jedoch teilweise zugelassen. Bei dem Verfahren wird nach einer [http://www.vcockpit.de/index.php?id=333&tx_ttnews[tt_news]=13015&tx_ttnews[cObj]=696&cHash=47e2ba3599 Darstellung der Pilotenvereinigung Cockpit] das Flugzeug auf Sicht gesteuert. Im Gegensatz dazu wird normaler Weise das Flugzeug allein durch bordeigene Instrumente gesteuert, was eine Sicht nach außen nicht unbedingt notwendig macht. Dieses Verfahren ist aber derzeit untersagt, da die feine Asche einige Messgeräte empfindlich stören kann (auf Wikipedia kann man hier und hier nachlesen, welche dramatischen Folgen Vulkanasche für Flugzeuge haben kann).

Cockpit hatte den Forderungen der Fluggesellschaft widersprochen und zunächst Messungen verlangt, bevor der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Nach einem Bericht des Handelsblatts kritisieren die Pilotenvertreter auch die Sichtflüge: "Die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) lehnt die geplanten Sichtflüge ab. 'Entweder der Luftraum ist sicher oder er ist es nicht', sagte ein Sprecher am Montag in Frankfurt. Offensichtlich wolle die Regierung nicht die Verantwortung für eine Öffnung des aschebelasteten Luftraums übernehmen. Es werde wegen des wirtschaftlichen Drucks nach Wegen gesucht, das Flugverbot zu umgehen." Dieser ist enorm. Von täglich einer Milliarde Umsatzverlust für die hiesige Nationalökonomie ist die Rede.

Inzwischen hat das Messflugzeug des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) seinen ersten Flug absolviert, doch im Twitter* liegen noch keine konkreten Ergebnisse vor. In der verlinkten Pressemitteilung von gestern Abend ist jedoch davon die Rede, dass die Aschewolke in verschiedenen Höhen angetroffen wurde. Der Flug ging von Oberpfaffenhofen bei München nach Leipzig, Hamburg, in die Niederlande und zurück an den Heimatstandort in Bayern. Heute soll ein weiterer Flug stattfinden.

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Erläuterung des IfT: Ascheschichten über Leipzig am Sonntagnachmittag und -abend (18 April 2010, 13:05 - 21:31 MESZ). Die Vulkanasche bildet eine relativ dicke Schicht zwischen 1 - 4 km Höhe. Spuren der Asche reichen bis 13 km Höhe. Eingelagert ist eine dünne Eiswolke in 8 - 10 km Höhe, die sich in der Asche entwickelt. Die Eiswolke war mit bloßem Auge nicht zu sehen und ist klar auf die Asche zurückzuführen. (Bild: IfT (http://polly.tropos.de/martha/))

Anders als gestern berichtet, gibt es in Deutschland mehrere Lidar-Messgeräte, unter anderem in Hamburg, in Lindenberg bei Berlin und wie gesagt in Leipzig. Einen Überblick über das europäische Lidar-Messnetz EARLINET gibt es bei der Uni München.

Das Leipziger Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (IfT) hat inzwischen in einer Pressemitteilung über seine Messungen berichtet und einige beeindruckende Bilder veröffentlicht (siehe oben und unten). Die Aschewolke sei in der sächsischen Metropole ab Freitag festgestellt worden. Offensichtlich kann man dort mit dem Lidar auch Aussagen über die Konzentration der Teilchen machen. Diese hätten am Freitag zunächst das 100- bis 200fache der Hintergrundbelastung betragen und seien dann ab Samstagmittag auf das Zehnfache abgesunken.

Die Leipziger Profilmessungen wie die der anderen EARLINET-Gruppen würden auch zur Validierung, das heißt zur Überprüfung der Modellsimulationen des britischen und des deutschen Wetterdienstes verwendet. "Es ist somit eine Irreführung der öffentlichen Meinung durch einige Fluggesellschaften, wenn deren Pressesprecher behaupten, es gäbe keine Vulkanasche in der Troposphäre und es gäbe vor allem keine Messungen, sondern ausschließlich Modellsimulationen für die Entscheidungsfindung zur Schließung des Luftraums."

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Die beiden Abbildungen veranschaulichen die "atmosphärische Autobahn", auf der die Vulkanasche nach Nord- und Mitteleuropa verfrachtet wurde. Links ein Strömungsbild für die Druckfläche von 500 hPa (Hektopascal, früher Millibar genannt), die in etwa 5,6 Kilometer Höhe liegt. Auch ohne Ausbreitungsmodell ist zu sehen, dass die Vulkanasche nach Europa geweht wird, wie auch das nebenstehende Satellitenbild zeigt. Beide Karten vom Freitag letzter Woche. (Bild: IfT nach Wetterzentrale (http://www.wetterzentrale.de/) und NASA (http://rapidfire.sci.gsfc.nasa.gov))

Aktuelle Satellitenaufnahmen gibt es 0af0781141d2f32f310cbfcfa6453de7: hier beim DWD. Im englischen Wikipedia gibt es einen aktuellen Artikel, in dem unter anderem die weltweiten Folgen des Flugverbots dokumentiert werden. In Kenia soll zum Beispiel die Ernte der Schnittblumen eingestellt und die Arbeiter nach Hause geschickt worden sein.

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Update

: Die Ergebnisse des ersten Messflugs der DLR liegen vor.