Rücktritt Friedrich: "Da ist Vieles zutiefst aus dem Lot geraten"

Der ehemalige Bundesrichter und Ex-Linksabgeordneter Wolfgang Neskovic rügt, dass in Deutschland der Umgang mit der Unschuldsvermutung bei Politikern nicht in Ordnung sei

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Der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte noch kurz vor seinem Rücktritt als Landwirtschaftsminister erklärt, er werde erst gehen, wenn die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen ihn einleiten werde. Das hat sie noch immer nicht getan, gleichwohl ist er zurückgetreten, vermutlich von allen Seiten bedrängt, die damit den politischen Schaden für die Große Koalition begrenzen wollten.

Friedrich räumte weiterhin keine Fehler ein und erklärte trotzig, dass er wiederkommen werde. Das war wohl auch gegen diejenigen gerichtet, die ihn nun zum Bauernopfer machten. Wie sehr auch die Kanzlerin auf Distanz zu Friedrich ging, um eine Ansteckung abzuwehren, zeigte sich auch daran, dass sie seinen Rücktritt ohne seine Gegenwart – im Unterschied etwa zum Rücktritt von Ex-Bildungsministerin Schavan – kurz und pflichtschuldig abhandelte – übrigens ohne jede Angabe von Gründen, warum dieser erfolgte.

Man darf davon ausgehen, dass zumindest für die SPD die Sache noch nicht ausgestanden ist. Zu unklar bleibt, wie die Informationen dort weitergereicht wurden. Schon dass Edathy gar kein Amt bekommen hatte, hätte eigentlich auch die Öffentlichkeit bereits überraschen müssen. Wie auch immer - die Union wird kaum willens sein, alleine alles zu schultern, und Konsequenzen in der SPD-Führung verlangen, wo man sich auch bereits in einige Ungereimtheiten verstrickt hat.

Der ehemalige Bundesrichter und Ex-Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Wolfgang Neskovic, rügte nun im Deutschlandfunk, dass für den Minister nicht die Unschuldsvermutung gegolten habe, sondern er schon vor Beginn einer etwaigen Ermittlung fallen gelassen wurde. In unserem Staat sei der Umgang mit der Unschuldsvermutung nicht in Ordnung. Die Unschuldsvermutung sei ein Kernelement des Rechtssystems.

Vorermittlungen der Staatsanwälte haben für Neskovic schon eine "exekutive Wirkung für Leute im politischen Ämtern". Damit sei ein Politiker politisch und persönlich bereits ruiniert. Das sei aber "unerträglich", weil fast 70 Prozent aller Ermittlungsverfahren eingestellt werden. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ging letztlich zu 80 Prozent zugunsten des Beschuldigten aus. Das sehe man auch im Fall Wulff.

Gefragt werde gar nicht mehr, ob Friedrich rechtlich tatsächlich Strafvereitlung oder Geheimnisverrat vorgeworden werden könne: "Die Begriffe werden einfach in den Raum gestellt und es setzt ein Hyperdruck ein und die Politiker werden aus den Ämtern katapultiert. Herr Friedrich mag eine politische Dummheit begangen haben, die mag dann auch zu dieser politischen Konsequenz führen. Aber wenn ich die öffentliche Diskussion anhand der rechtlichen Parameter, an die sich alle angeblich halten wollen, ermesse, dann kann ich sagen: Da ist Vieles zutiefst aus dem Lot geraten."

Friedrich habe vor einem Dilemma gestanden: "Ich bin ganz sicher, wenn er nichts gesagt hätte und (…) Herr Edathy wäre jetzt Minister oder Staatssekretär gewesen - da hätten andere behauptet, ja, der hat den aber ins Messer laufen lassen, der hat auch den Koalitionspartner ins Messer laufen lassen. Das heißt, er wäre genauso in der Bredouille gewesen, wie er jetzt in der Bredouille ist."

Wenn Friedrich, wie er selbst sagte, die SPD "in ganz allgemeiner Form" informiert hätte, dass da "irgendwas im Busche ist", dann hätte man strafrechtlich nach Neskovic kaum etwas machen können und hätte er sich rechtlich und korrekt verhalten, so Neskovic. Das wäre auch politisch korrekt gewesen, wenn die Anderen damit vernünftig umgegangen wären: "Aber bei der SPD, ich sag das mal polemisch, ist eben eine Ansammlung von Funktionsstörungen - und das hat sich auch hier wieder gezeigt, dass offenkundig dann Informationen weitergereicht worden sind." Das sei das eigentliche Dilemma gewesen: "Und da ist der arme Kerl, obwohl ich politisch nicht viel von ihm halte, verbrannt."