Auf Trippelschritten in den Mainstream

Auf dem Europaparteitag der Linken siegten die Funktionäre über die Verfechter einer stärkeren außerparlamentarischer Orientierung, in der Edathy-Affäre verhält man sich zahm

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Und sie bewegt sich doch. Die Linkspartei hat am Wochenende auf ihrem Europa-Parteitag in Hamburg einen Schritt in Richtung einer Kooperation mit Grünen und SPD gemacht (s.a.: Kipping: "Wer Europa will, der muss es den Reichen nehmen"). Einer der vehementesten Befürworter einer solchen Liaison, der Taz-Kommentator Stefan Reinicke, zeigte sich denn auch äußerst zufrieden:

"Die Linkspartei bewegt sich ganz, ganz langsam in Richtung Realpolitik. Aus dem Programm ist, nach viel Aufregung, die gröbste Schwarz-Weiß-Malerei heraus retuschiert worden. Um Worte wird in der Partei stets gerungen, als würde das Schicksal der Welt davon abhängen."

Mehr als Streit um Worte?

Tatsächlich waren es aber die Kritiker in und außerhalb der Linkspartei, die einige Worte aus der Präambel des Leitantrags zum Europawahlprogramm als Beleg nehmen wollten, dass die Partei europafeindlich ist.

"Spätestens seit dem Vertrag von Maastricht wurde die EU zu einer neoliberalen, militaristischen und weithin undemokratischen Macht, die nach 2008 eine der größten Krisen der letzten 100 Jahre mit verursachte", hieß der inkriminierte Satz, der bereits im Vorfeld des Parteitags entsorgt worden ist. Der linke Flügel hätte diese Formulierung wohl gerne preisgegeben, wenn der Antrag ansonsten weitgehend durchgekommen wäre. Allerdings wurde die gesamte Präambel des Leitantrags deutlich entschärft. "Die EU hat ihr Ziel, Frieden – auch sozialen – zu schaffen und zu erhalten, aus den Augen verloren", heißt es jetzt. Prompt titelte der Spiegel: "Linke findet EU doch nicht militaristisch und undemokratisch".

Auch die Medien stürzen sich also oft auf einige plakative Begriffe, ohne zu registrieren, was eigentlich neben diesen strittigen Termini noch im Programm steht. Das wird jetzt überarbeitet und ist daher zurzeit nicht im Netz zu finden. Während die überwiegend den Parteirealos wohlgesonnenen Medien konstatieren, dass die Linkspartei in der realen EU angekommen ist, moniert die den Traditionslinken nahestehende junge Welt einen "Durchmarsch der Realos". Der linke Zentrist Dieter Dehm, der mit den verschiedenen Flügeln der Partei vernetzt ist, reagiert nüchtern auf die ganze Aufregung:

"Meine ursprüngliche Formulierung, dass die EU ein militaristisches und neoliberales ...Regime ist, wurde durch meine folgende Formulierung ersetzt, die genau dasselbe besagt: 'In ihrer bestehenden vertraglichen Verfasstheit und Politik ist die EU weder auf Frieden und Abrüstung ausgerichtet, noch auf soziale Gerechtigkeit. Nur starke außerparlamentarische Kämpfe und eine starke Linke in den Parlamenten können den Neustart schaffen: für ein friedliches, soziales, demokratisches und ökologisches Europa'."

Nun könnte man sich fragen, ob so viele Adjektive in einem Satz nicht dem Chefredakteur des der Linkspartei stehenden Neuen Deutschland recht gibt: "Wenn man Verhältnisse schon allein dadurch verändern könnte, dass man stets einen Sackvoll Parolen dabei hat und sich aus ihm möglichst lautstark bedient - die LINKE wäre politisch sehr einflussreich. Sie ist dies in Wahrheit nicht, und das ist ein Problem", schreibt Tom Strohschneider in einen Kommentar zum Europaparteitag.

Zurück zur PDS?

Nun muss man aber auch fragen, ob es der Verankerung der Linken in außerparlamentarischen Bündnissen besonders förderlich ist, wenn ein Kandidat wie der in antimilitaristischen Zusammenhängen verankerte Tobias Pflüger nicht als Kandidat für die Europawahl aufgestellt wird, obwohl er vom Parteiausschuss auf den zweiten Platz vorgeschlagen wurde und außerparlamentarische Unterstützung bekommen hat.

Auch der langjährige behindertenpolitische Sprecher der Linksfraktion Ilja Seifert hatte keine Chancen. Schon bei der Bundestagswahl wurde er auf einen so schlechten Listenplatz positioniert, dass er den Einzug verfehlte http://www.ilja-seifert.de/: "Innerhalb und (weit) außerhalb der LINKEN wird das "als herber Rückschlag für selbstbestimmte Behindertenpolitik" gewertet."DIE LINKE habe eines ihrer 'markantesten Alleinstellungsmerkmale' preisgegeben", kommentierte Seifert damals auf seiner Homepage. Der Europaparteitag hat kein Signal in eine andere Richtung gesetzt. Auch der migrationspolitische Sprecher der Linken Ali Al Dailami konnte sich nicht durchsetzen, obwohl er vom Bundessausschuss auf den noch aussichtsreichen Platz 8 nominiert war. Die Gewerkschafterin Sabine Wils wurde abgestraft, weil sie sich als Europaabgeordnete im Zweifel eher bei den außerparlamentarischen Bewegungen als den Parteigremien zu finden war.

Damit ist die Frage, ob sich die Linke nach dem Europaparteitag wieder mehr in Richtung PDS bewegt, durchaus berechtigt. Allerdings geht es da nicht um eine imaginierte Ost-West-Spaltung. Auf den zweiten Platz wurde der WASG-Mitbegründer Thomas Händel gewählt, der als langjähriger Gewerkschafter natürlich den Typus des für die Partei pflegeleichten Abgeordneten entspricht. Hier zeigt sich mal wieder, dass sich auch bei der Linken jene soziologische Gesetzmäßigkeit durchsetzt, dass der Parlamentarismus die Brutstätte des Pragmatismus und Reformismus ist und alle, die sich diesem Trend beispielsweise durch persönliches Engagement in außerparlamentarischen Bewegungen widersetzen, werden auf Parteitagen abgestraft.

Die Linke als brave Oppositionspartei im Fall Edathy

Nach dem Europaparteitag ist die Linkspartei aber erst einmal mit den Wirrungen der deutschen Innenpolitik befasst. Dda stehen in diesen Tagen der Fall Edathy und die Folgen an erster Stelle. Wie brav die Linke hier agiert, zeigte die Pressemitteilung vom Bundestagsabgeordneten Frank Tempel. Unter der Überschrift "Merkel muss handeln" wurde kurz vor dem Rücktritt von Bundesinnenminister Friedrich moniert, dass der seine Verschwiegenheitspflicht verletzt und damit womöglich Ermittlungen behindert habe.

Nun will Linkspartei ganz im Gleichschritt mit dem Chor der Medien den SPD-Fraktionsvorsitzenden Oppermann ins Kreuzverhör nehmen. Die Frage, ob die Vorermittlungen gegen Edathy nicht schon rechtswidrig waren, stellt sich die Partei gar nicht. Dabei ist nicht nur die Strafrechtlerin article_id=277382: Monika Frommel dieser Überzeugung. Auch der ehemalige Bundestagskandidat Wolfgang Neskovic hat im Deutschlandfunk darauf article_id=277561: hingewiesen, dass die Voruntersuchungen, mit denen die Razzien gegen Edathy begründet werden, juristisch keine Grundlagen haben.

Im Bundestag kann Neskovic diese Kritik nicht mehr anbringen. Er war bei der letzten Bundestagswahl von der Linkspartei nicht mehr auf einen sicheren Listenplatz aufgestellt worden, obwohl er an der Basis viel Unterstützung hatte. Jetzt gibt es bei der Linken niemand mehr, der den Thesen einer Monika Frommelt Gehör gibt und vielleicht auch die Frage stellt, ob Edathy politisch kaltgestellt wurde, weil er im NSU-Untersuchungsausschluss zu forsch war.