Wiedergutmachung oder ökonomisches Interesse an vertriebenen Juden?

Spanien und Portugal wollen ihre "historische Schuld" nach 500 Jahren an vertriebenen Juden begleichen und bieten Nachfahren die Staatsangehörigkeit an

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Nach Spanien hat nun auch Portugal späte Gerechtigkeit für sephardische Juden angekündigt. Der portugiesische Minister für Tourismus sagte, auch Lissabon werde den Nachfahren vertriebener Juden die Staatsbürgerschaft anbieten. Das hat Adolfo Mesquida Nunes während eines Besuchs einer internationalen Tourismusmesse am Wochenende in Tel Avis erklärt, wie diverse Medien in Israel berichtet haben.

Nach Angaben des Ministers arbeite Lissabon schon an einem Gesetz. Ausgearbeitet würden Kriterien, damit die 400.000 Nachfahren derer, die ab 1496 auch aus Portugal vertrieben wurden, vereinfacht die Staatsangehörigkeit erhalten können. Der Minister bezog sich auch auf den Entwurf des spanischen Justizministers Alberto Ruiz Gallardón, den vor gut einer Woche das Kabinett verabschiedete. Der portugiesische Botschafter in Israel, Miguel de Almeida, erklärte, "nun müssen klare Richtlinien" für die erarbeitet werden, die an einer portugiesischen Staatsangehörigkeit interessiert sind. Klar ist, dass in beiden Fällen Begünstigte die bisherige Staatsangehörigkeit nicht aufgeben und auch nicht nach Spanien oder Portugal umziehen müssen. Bisher ist in Spanien eine Einbürgerung der Sephardim möglich, die dafür aber ihre bisherige Staatsbürgerschaft aufgeben müssen.

Ruiz-Gallardón hatte seinen Vorstoß damit begründet, gegenüber sephardischen Juden eine "historische Schuld" und einen der "schwersten Fehler" zu beheben. Sie wollten "immer Spanier sein", sagte er. "Heute steht ihnen wieder die Tür offen." Er bot den etwa 3,5 Millionen Nachfahren vertriebener Juden an, "wieder spanische Bürger mit allen Rechten" zu werden. Die Vertreibung aus Spanien geht auf das Jahr 1492 zurück. Damals verfügten die katholischen Könige Isabella und Ferdinand nach dem Sieg und der Vertreibung der moslemischen Mauren nach mehr als 700 Jahren (als angebliche "Rückeroberung" mythologisiert) auch die Vertreibung der Juden. Die folgten in großer Zahl den Mauren über die Meerenge von Gibraltar nach Marokko.

Einige, die nicht zum Christentum konvertierten (und dafür später wiederum wegen Häresie in Spanien wieder grausam verfolgt wurden), flüchteten einst ins Nachbarland Portugal. Von dort wurden sie erneut vertrieben, nachdem der Heiratsvertrag zwischen König Manuel I und der spanischen Infantin Isabella am 30. November 1496 besiegelt war. Auch die ältere Tochter der spanischen Könige war eine glühende Judenhasserin. Sie werde Portugal nicht betreten, bis es von den "Fluch beladenen" Juden gesäubert sei, schrieb sie in einem Brief an den König Portugals. Der verfügte am 25. Dezember, alle Juden seines Königreiches müssten unter Androhung der Todesstrafe zwangsgetauft werden oder das Land verlassen.

Vor allem der Vorstoß Spaniens ist umstritten. Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz, fordert, Spanien sollte sich für die Vertreibung entschuldigen, statt die Sephardim anzulocken. Anders als Portugal sei Spanien bisher nicht zu dieser Geste bereit gewesen. Es scheint ohnehin, dass es beiden Ländern in der schweren Wirtschaftskrise nicht allein um Widergutmachung geht. Sie umwerben insgesamt ausländische Geldgeber und Inverstoren.

Wer eine halbe Million Euro in Spanien oder Portugal in Immobilien investiert, erhält ein "Goldenes Visum". Das gilt für die gesamte EU wie eine Staatsbürgerschaft. In anderen Krisenländern wie Zypern und Griechenland reichen dafür schon 300.000 oder 250.000 Euro. In Portugal haben vor allem Chinesen und Russen bisher von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Und im Fall sephardischer Juden konkurrieren Portugal und Spanien ebenfalls. Denn die Mehrzahl der Nachfahren Vertriebener hätte Anrecht auf einen spanischen oder portugiesischen Pass. Portugal reagiert offenbar schnell darauf, dass seit der Ankündigung Spanien ein Ansturm auf die Botschaft und die Konsulate in Israel zu beobachten ist. Denn nach dem Entwurf muss eine "besondere Verbindung mit der Kultur und den spanischen Sitten" nachgewiesen werden, um eine Staatsbürgerschaft zu erhalten. Etwa 500.000 der geschätzten 3,5 Millionen Nachfahren sollen heute in Israel leben.

In den kleinen jüdischen Gemeinden in Spanien und Portugal fragt man sich, warum die Vorstöße jetzt kommen. Spekuliert wird darüber, ob versucht wird, Investitionen vermögender Juden anzulocken. Andere Stimmen meinen im Fall Spaniens aber, ein schwer angeschlagener Justizminister benötige international dringend "positive Schlagzeilen". Denn Gallardón ist der Minister, der die Abtreibung in Spanien wieder unter Strafe stellen und Teilnehmer von nicht zuvor genehmigten Protesten mit Geldstrafen von bis zu 600.000 Euro belegen will. Das wird national und international scharf kritisiert.