Spanien will keine Gummigeschosse mehr gegen Flüchtlinge einsetzen

Nach den tödlichen Vorgängen an der Grenze zur spanischen Exklave Ceuta steht die konservative Regierung massiv unter Druck

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Obwohl weiter Flüchtlinge versuchen, im Ansturm über die Grenzen zu den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla aus Marokko zu kommen, wird die Guardia Civil keine Gummigeschosse mehr einsetzen. Meldungen verschiedener Zeitungen hat am Dienstag der Sicherheitsstaatsekretär Francisco Martínez bestätigt. Gummigeschosse und Rauchgasgranaten dürfen nur noch in unter "extremen Umständen" eingesetzt werden.

Die paramilitärische Einheit, die für Polizeiaufgaben und im Grenzschutz eingesetzt wird, habe das aus "strikt operativen" Gründen entschieden, weil das "mit den Gummigeschossen verfolgte Ziel" nicht erreicht werde, sagte Martínez. Zur "Abschreckung" würden nun vor allem "Platzpatronen" eingesetzt. Für den Sprecher einer Guardia Civil-Vereinigung (AUGC) macht diese Entscheidung "keinerlei Sinn". Juan Antonio Delgado meint, das wäre so, "als wenn man einem Chirurgen das Skalpell abnimmt".

Angesichts der Ausführungen des Staatssekretärs fragt man sich, welches Ziel die Guardia Civil Anfang Februar verfolgte, als mit Gummigeschossen und Rauchgasgranaten auf wehrlose Flüchtlinge geschossen wurde. Die hatten schwimmend versucht, die Exklave Ceuta zu erreichen. Mindestens 15 Flüchtlinge sind dabei ertrunken. Deshalb ist der linke baskische Politiker Jon Iñarritu in diesen Tagen zur Recherche nach Ceuta und Marokko gereist, da der spanische Innenminister Jorge Fernández Díaz auf Anfragen im Parlament nicht geantwortet hat.

Er befragte vor Ort die Grenzschützer und Flüchtlinge und schaute sich mit einem Kollegen der Vereinten Linken (IU) auch Videos an, die von den tödlichen Vorgängen aufgezeichnet wurden. "Die offenkundigen Lügen des Ministers wurden damit klar." Anders als der Innenminister behauptete, wurde gezielt auf Schwimmende geschossen. Zudem ist ein Boot der Guardia Civil mehrfach auch in Hoheitsgewässer Marokkos eingedrungen, ohne dabei Ertrinkende zu retten. Belegt ist auch, dass sogar verletzte Flüchtlinge, die Spanien erreicht hatten, illegal nach Marokko zurückgebracht wurden. Eigentlich muss ihre Identität festgestellt und ihnen ein Anwalt und ein Übersetzer zur Verfügung gestellt werden. Mindestens "145 Gummigeschosse und fünf Rauchgasgranaten auf wehrlose Menschen gefeuert worden", erklärte Iñarritu am späten Montag in Radio Euskadi. "Das ist eine völlig unerklärliche Barbarei", fügte er an und forderte politische Konsequenzen.

Es ist offensichtlich, dass die Widersprüche, in die sich die konservative Regierung und ihr Innenminister immer stärker verstrickt haben, nun zum Schwenk geführt haben. Denn auch in der EU-Kommission ist man über die Vorgänge in Ceuta entsetzt. Innenkommissarin Cecilia Malmström zeigte sich "sehr besorgt" und forderte Aufklärung von Spanien. Da kein Material zur Aufstandsbekämpfung mehr eingesetzt wird, gelang es bei einem Massenansturm von etwa 500 Flüchtlingen am Montag etwa 100, in die Exklave Melilla einzudringen.

Allerdings bewarfen sich dabei Flüchtlinge und Grenzschützer offensichtlich gegenseitig mit Steinen, wie auf einem Video zu sehen ist. Trotz allem überwanden einige die sechs Meter hohen Zäune an einem der beiden Punkte, an denen eine Landgrenze zwischen Afrika und Europa besteht, obwohl der Doppelzaun auf spanischer Seite mit gefährlichem und messerscharfem Klingendraht ausgerüstet wurde.

Der Schwenk der Konservativen bedeutet aber auch eine Reform des Ausländergesetzes. Die Regierung hat erklärt, dass nun Änderungen im Eilverfahren beschlossen werden sollen. Die "heißen Abschiebungen" sollen künftig legal werden, mit denen illegal Flüchtlinge nach Marokko zurückgebracht werden. Sie wurden mit diversen Videos belegt, weshalb ein Ermittlungsrichter in Melilla vergangene Woche den Vertreter der Zentralregierung in der Exklave als Beschuldigten vernommen hat. Vor Gericht muss sich dafür auch ein Offizier der Guardia Civil verantworten.