"Am Ende stehen wir vor einer neuen Eiszeit in Europa"

"Die FPÖ unter Haider war dagegen ein Kindergeburtstag." Günter Verheugen zur Ukrainekrise und der opportunistischen, falschen Politik der EU gegenüber der illegitimen Regierung in Kiew

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Mit glasklarer Deutlichkeit, die amtierende Politiker vermissen lassen, hält der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen (von 1999 bis 2009) der Europäischen Union im Deutschlandfunk eine "Kette von Fehlern" in der Ukraine-Politik vor. Deren letzter waren die Sanktionen, so der SPD-Politiker, der bis 2004 an Verhandlungen zur EU-Osterweiterung maßgeblich beteiligt war.

Zwar sehe es so aus, als ob die bisher beschlossenen Sanktionen "nicht besonders wirkungsvoll" sind, aber dem könnten weitere Schritte folgen, die zu einer "neuen Eiszeit in Europa" führen könnten - dem Gegenteil dessen, was das Ziel der EU ist. Verheugen fürchtet, dass die schwierige Situation zudem "eine Art Spaltpilz in der EU" werden könnte.

Auch das Verhalten Russlands kritisiert der frühere Europapolitiker, ohne allerdings auf Einzelheiten einzugehen. Er pocht, was die Reaktionen im Westen angeht, jedoch darauf, einen deutlichen Unterschied zu machen zwischen einer "notwenigen russland-kritischen Haltung" und einer "geradezu feindseligen Attitüde gegenüber Russland". Ist einmal die Sanktionspirale im Gang, sei der Weg zurück schwierig. Das müsse man sich deutlich vor Augen halten.

Bei den EU-Beitrittsverhandlungen mit den baltischen Republiken habe man Russland - im Gegensatz zum Vorgehen im Fall der Ukraine - intensiv in Gespräche einbezogen, "um zum Beispiel die Rechte der russischen Minderheiten in diesen Ländern zu schützen". Russland habe schließlich akzeptiert. Die Erfahrung sei also die, dass man mit der russischen Führung durchaus reden könne.

Als fatalen Tabubruch, von dem sich die EU hätte deutlich distanzieren müssen, bezeichnet Verheugen, dass Kiew "zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten" in die Regierung gelassen habe. Das sei ein Schritt zu weit. Es gebe keinen Zweifel an der völkischen, rechtsradikalen, "exzessiv nationalistischen" Ausrichtung der Swoboda. Ebensowenig daran, dass die Rechten mit EU-Zielen nichts am Hut hat. Eine Zusammenarbeit mit einer Regierung, die eine Beteiligung solcher Kräfte zulasse, sei "nicht hinnehmbar".

„Das ist ein Aspekt, der in unserer öffentlichen Debatte, finde ich, unterbewertet wird. Wir haben in Europa einen Wertekonsens, dass wir so etwas nicht wollen. Ich darf erinnern: Als in Österreich vor 15 Jahren die FPÖ in die Regierung kam, haben wir Österreich bestraft. Die FPÖ (...) von Haider damals ist im Vergleich zu dem, was wir in der Ukraine mit Swoboda haben, aber wirklich ein Kindergeburtstag.“

Dem Vorwurf, der Westen verfolge gegenüber der Ukraine eine opportunistische Politik, stimmt Verheugen zu. Die Regierung in Kiew sei nicht legitim. Man dürfe ihr nicht alles das anbieten, was man demokratisch gewählten Vorgängerregierungen verweigert habe. Generell gelte zudem, dass man der Ukraine nicht vorschreiben könne, wo sie hingehen solle. "Das haben die selber zu entscheiden."