Wissenschaftler warnen vor Geiersterben in Spanien

Gefordert wird das Verbot eines Medikaments, das beinahe schon zur Ausrottung der Geier in Indien geführt hat

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Spanische Wissenschaftler und Umweltschützer befürchten ein massives Geiersterben im Land, weil ein Medikament zugelassen wurde, das nachweislich für den Tod von Millionen der Aasfresser in Asien verantwortlich war.

In der US-Fachzeitschrift Conservation Biology ist aktuell ein Beitrag erschienen, in dem verschiedene spanische Wissenschaftler fordern, die Zulassung von Diclofenac in der Tiermedizin zu verbieten, "um schwerwiegende Auswirkungen auf die Geier und das Ökosystem in Spanien zu vermeiden".

Für Antoni Margalida der an der Universität im katalanischen Lleida und im Schweizer Bern forscht und an dem Text mitgewirkt hat, ist es unverständlich, dass die zuständige spanische Behörde Medikamente mit dem Wirkstoff Diclofenac vor einem Jahr zugelassen hat. Gegenüber Telepolis zeigte er seine Verwunderung über die Entscheidung.

"Es gibt andere Mittel mit gleicher Wirkung, die aber nachweislich keine Gefahr für die Geier darstellen."

Zwar gäbe es auch Unterschiede in der Tierhaltung in Spanien und Indien, aber auch hier können die mit dem Wirkstoff behandelten Tiere von Geiern gefressen werden. Denn auch in Spanien konzentriert sich die Viehzucht nicht nur auf Ställe, sondern viele Tiere stehen auf weitläufigen Weiden, Hügeln und Bergen. Es sei deshalb nur schwer zu kontrollieren, wo ohnehin erkrankte Tiere sterben, die mit dem Medikament behandelt worden sind.

Wie seine Kollegen, diverse Umweltschutzorganisationen und 20.000 Bürger, die eine entsprechende Unterschriftenliste unterzeichnet haben, hält er es für fatal, dass das entzündungshemmende Mittel, das vor allem bei Rindern eingesetzt wird, ausgerechnet in einem Land zugelassen wird, das über fast die gesamten Geierbestände in Europa verfügt.

"Auch wenn man den Viehzüchtern vorschreibt, das Mittel nur kontrolliert einzusetzen, sieht die Realität anders aus", erklärte Margalida. Er kennt sich aus, denn der Katalane stammt selbst aus einer Viehzüchterfamilie.

Mit dem Einsatz von Diclofenac in Spanien werde nun der Großteil der letzten europäischen Geier gefährdet. Geschätzt wird, dass 95 Prozent der gefährdeten Vögel in Spanien zu finden sind. Am häufigsten ist noch der Gänsegeier, von dem es 26.000 Paare geben soll. Vom Mönchsgeier soll es nur noch 2.000 Paare geben, vom Schmutzgeier 1.400 und vom Bartgeier nur noch 125. Gerade in den letzten Jahren hatten sich die Kolonien wieder erholt, nachdem die EU in Brüssel die im Rahmen des sogenannten Rinderwahns getroffenen Maßnahmen wieder gelockert hatte.

Denn wegen BSE, der Maul- und Klauenseuche und anderen Krankheiten hatte die EU 2001 wegen angeblicher Seuchengefahr verordnet, dass verendete Tiere nicht mehr liegengelassen werden dürfen. Statt auf der Speisekarte der Geier zu landen, mussten sie plötzlich aufwendig und teuer beseitigt und in speziellen Anlagen verbrannt werden. Die Geier hungerten und zum Erstaunen vieler begannen die Aasfresser damals sogar, lebendeTiere anzufallen.

Dass von dem Wirkstoff eine tödliche Gefahr für Geier ausgeht, ist unbestritten. Denn es wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass die Tiere fast sofort an Nierenversagen sterben, wenn sie über Aas auch nur geringste Mengen Diclofenac aufnehmen. Das führte dazu, dass diverse Geierarten in Indien und anderen asiatischen Ländern beinahe ausgerottet wurden.

Foto: Ralf Streck

Zogen dort einst Millionen Aasfresser auf der Suche nach Nahrung ihre Kreise, wurden die Bestände zum Teil um bis zu 99 Prozent ausgerottet. "In verschiedenen Ländern Asiens ist Diclofenac deshalb schon seit 2006 verboten", erklärt Margalida und das gilt unter anderem für Indien, Pakistan und Nepal. Zuvor hatte im Jahr 2004 die Fachzeitschrift Nature das Geheimnis über das Geiersterben gelüftet und das billige Diclofenac als Ursache genannt.

Für den Forscher ist an der Zulassung in Spanien noch verwunderlicher, da man dieses für Geier tödliche Mittel durch Medikamente mit dem Wirkstoff Meloxicam ersetzen kann. "Die sind etwas teurer", so Margalida. Er befürchtet, dass sich Medikamente mit Diclofenac deshalb schnell verbreiten könnten.

"Die Lösung ist einfach: das Mittel vom Markt nehmen und durch andere Mittel ersetzen, um das Risiko auszuschließen."

Auch Margalida sieht das Problem darin, dass die Firma, nachdem sie alle Hürden der Zulassung überwunden hat, das Medikament nicht einfach wieder zurückziehen will. Wirklich erklären kann sich der Forscher nicht, warum bei der Zulassung das Massensterben der Geier in Asien ignoriert wurde. Mit der Zulassung von Diclofenac, das schon zuvor in Italien in der Tiermedizin verabreicht werden durfte, ist die Tür nun auch komplett für den europäischen Markt geöffnet.

Foto: Ralf Streck

Die Forscher und Umweltschutzorganisationen fordern deshalb auch von EU einzuschreiten, denn die Diclofenac-Zulassung laufe den Bestimmungen und den Zielen zum Artenschutz und zum Erhalt bedrohter Vogelarten zuwider. Die sehen vor, dass ökologische Schäden durch Medikamente vermieden werden müssen.

Die Vermutungen, warum ausgerechnet das für Geier so gefährliche Mittel jetzt verstärkt in Afrika und in Europa eingesetzt werden soll, sind vielschichtig. Vermutet wird, dass für die Zulassung in Spanien schlicht "Ignoranz" oder "Inkompetenz" verantwortlich ist. Die deutsche Zeitschrift Spektrum für Wissenschaft hat sich in einem Kommentar ebenfalls schon mit dem Thema beschäftigt und vermutet, dass nach dem Verbot in Asien "ein Ersatzmarkt für Diclofenac" gesucht wird.

Gegenüber Telepolis vermuten spanischen Umweltschützer, dass in dem Land, das besonders durch Korruption auffällt, mit entsprechenden Mitteln bei der Zulassung des Medikaments nachgeholfen worden sein könnte. Sie wollen namentlich nicht genannt werden, verweisen aber auf die verschiedensten Skandale, die das Königshaus und die regierende rechte Volkspartei bis hinauf zu Ministerpräsident Mariano Rajoy erschüttern. Schließlich hat sogar der ehemalige PP-Schatzmeister längst zugegeben, dass sich Firmen für illegale Spenden an die Partei Vorteile verschafft haben.