Wie Deutschland gegenüber Russland konfliktfähig gemacht werden soll

Wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Russland und Deutschland wirken objektiv konfliktmindernd. Das wollen Politiker der Grünen und der Union ändern

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Als "Botschafter für 100% erneuerbare Energien" stellt sich der langjährige grüne Politiker Hans Josef Fell auf seiner Homepage selber vor. Man könnte auch etwas weniger pathetisch sagen, Fell ist nach dem Tod des Solarsozialdemokraten Hermann Scheer der bekannteste Lobbyist der Erneuerbaren. Seit einigen Wochen hat Fell neue Argumente in seiner Verteidigung der Erneuerbaren eingebaut.

"Energieunabhängigkeit von Russland ist nur mit erneuerbaren Energien möglich", erklärte Fell Mitte März. Dabei steht für ihn eine Prämisse bereits fest: "Dass Europa sich so schnell wie möglich aus der russischen Energieabhängigkeit lösen muss, ist unbestritten."

Nun nutzen nicht nur die Lobbyisten der Erneuerbaren die Energiekrise, um mit dem Schlagwort der Energieunabhängigkeit von Russland für ihre Energieform trommelt. Das Handelsblatt sieht die Fracking-Fans durch die Ereignisse in der Ukraine im Aufwind. "Wir sollten alle Quellen nutzen, um unabhängiger von Russland zu werden - dazu zählt auch heimisches Schiefergas", erklärte Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs dem Handelsblatt.

Ähnlich hat sich in den letzten Wochen auch der Christsoziale Peter Ramsauer geäußert. Dabei ist vor allem bei den Fracking-Lobbyisten eine klare Strategie zu beobachten. Sie wollen mit der Ukraine-Krise die Gunst der Stunde nutzen, um mit der Angst vor einer russischen Energieabhängigkeit die in großen Teilen der Bevölkerung extrem unbeliebte Fracking-Technologie hierzulande doch noch einzuführen.

Fracking-Lobby nutzt Ukraine-Krise

Schließlich hat sie in den USA den Energiekonzernen hohe Profite beschert. Dass mittlerweile bei politischen Analysten die Fracking-Euphorie verflogen ist, wird dabei gerne ausgeblendet. Schließlich taugen solche Fakten wenig, wenn es darum geht, auch in Deutschland Fracking zumindest zu erproben.

Mit dem christdemokratischen EU-Kommissar Günther Oettinger haben die Fracking-Fans einen prominenten Unterstützer gewonnen. Gegen eine mögliche Gaskrise in Europa setzt er auf Energiesparen und auf Fracking. Oettinger gehörte auch zu den unverbrüchlichen Verteidigern der AKW-Nutzung.

Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Lobbyist dieser Energieform mit Verweis auf die Befreiung von der Energieabhängigkeit von Russland dafür ausspricht, die AKWs in Deutschland länger laufen zu lassen. Doch die Panikmache vor einer von Russland ausgelösten Energiekrise ist nicht so groß, dass solche Vorstöße auf offene Ohren stoßen, wenn es um AKWs geht.

Die Fracking-Lobby könnte, wenn sich die Krise länger hinzieht, aber durchaus Erfolge verbuchen. Dass zu den vielen Gründen für die Förderung der Erneuerbaren nun auch noch die Lösung aus der russischen Energieabhängigkeit hinzukommt, wird kaum jemand bedauern.

Objektiv konfliktmildernde Funktion der wirtschaftlichen Verflechtungen

Dabei lohnt schon die Frage, ob nicht gerade die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und Russland nicht nur auf dem Energiesektor in der gegenwärtigen Ukraine-Krise eine objektiv konfliktmildernde Funktion hatten. Es ist sicher kein Zufall, dass viele Politiker in Deutschland sich in den letzten Wochen immer wieder für einen Ausgleich mit Russland ausgesprochen haben.

Schließlich entwickelten sich auch während der Krimkrise die wirtschaftlichen Kontakte zwischen Deutschland und Russland weiter. Die Kasseler BASF-Tochter Wintershall gewährte dem Gazprom-Konzern die Kontrolle über deutsche Erdgasspeicher im Austausch für den Zugriff auf sibirische Erdgasfelder Die RWE gab Mitte März bekannt, dass sie ihre Erdölförder-Tochter Dea für 5,1 Milliarden Euro an eine russische Investorengruppe verkaufen will.

Da mögen Lokalpolitiker und Medien die Angst vor den Russen wieder recyceln und einige CDU-Politiker aus der zweiten Reihe gar fordern, dass die Denkmäler der siegreichen Roten Armee über den Nationalsozialimus aus Berlin verschwinden sollen, solange führende Teile der deutschen Wirtschaft in Russland einen Partner sehen, muss die Politik auf einen Dialog setzen.

So könnte man von einer List der Geschichte reden, die darin besteht, dass der kapitalistische Drang nach ökonomischer Ausdehnung und Globalisierung einen objektiv konfliktentschärfenden Effekt hat. Stimmen für einen Abbau der deutsch-russischen Beziehungen sind hingegen eher konfliktverschärfend.

Wenn es Deutschland tatsächlich gelänge, in absehbarer Zeit unabhängig von russischem Erdgas zu werden, wäre mit einer Verschärfung der Konflikte in den deutsch-russischen Beziehungen zu rechnen. Polemisch könnte man auch sagen, der Versuch, sich von Russland auf dem Energiesektor unabhängig zu machen, ist ein Versuch, Konfliktfähigkeit gegenüber Russland zu erlangen.

Schon historisch war es immer so, dass die Politiker, die Kriege geplant haben, auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit in ihrem Programm hatten. Vor diesem Hintergrund erstaunt es auch nicht, dass vor allem Politiker von Grünen und Union in den letzten Wochen besonders für eine Energieunabhängigkeit Deutschlands von Russland getrommelt haben. Dann könnten ihre rhetorischen Volten gegen Russland in praktische Politik umgesetzt werden.